Glettler: Kirche soll Tendenz zu Polarisierung entgegenwirken

Seinen Eindruck, dass in Österreich "die humanitäre Großwetterlage frostiger, unberechenbarer und aggressiver" werde, hat Bischof Hermann Glettler unterstrichen.

"Ja, der Befund ist leider immer noch aktuell", sagte er in einem Adventinterview der "Tiroler Tageszeitung" (Ausgabe 14. Dezember). Den Glaubensgemeinschaften, Vereinen und "jedem Einzelnen" komme Verantwortung zu, "dass es auch zukünftig ein gutes Miteinander in unserem Lande gibt". Glettler ortet eine "gefährliche Verrohung", die sich in den öffentlichen Diskurs eingeschlichen habe, und es gebe "unübersehbare Tendenzen von Polarisierung in unserer Gesellschaft".

Er versuche demgegenüber den "Weg der Mitte" zu gehen, also "möglichst verbindend zu wirken und alle konstruktiven Kräfte zu stärken". Das ist nach der Überzeugung des vor einem Jahr geweihten Bischofs der Platz der Kirche, "die Mitte ist der angestrengte Platz".

Konkrete Kritik äußerte Glettler am asylpolitischen Kurs der Bundesregierung. Mit vielen anderen Verantwortungsträgern sei er beim Thema Abschiebung von in einer Ausbildung stehenden jungen Flüchtlingen "konträr zur Position des Innenministers". Es sei aus volkswirtschaftlichen und humanitären Gründen "unverständlich, Menschen wegzuschicken, die wir gut brauchen könnten", so der Bischof. Damit würden die Betroffenen zudem ein zweites Mal "entwurzelt".

Glettler nannte es "gefährlich", wenn sich in der Beurteilung von Fluchtreisenden und Asylsuchenden "eine unmenschliche Härte breitmacht". Auch wenn jemand auf Grund einer persönlichen Perspektivlosigkeit und wirtschaftlicher Notlage sein Land verlassen hat, sei er deshalb nicht als Illegaler oder Krimineller zu verdächtigen.

Den Reformansatz der Regierung halte er für "grundsätzlich richtig", kommentierte der Bischof die aktuelle politische Lage. Er wünsche sich in einigen Bereichen aber ein sorgfältigeres Vorgehen "und nicht eine übereifrige Eile". Seiner Einschätzung nach würden dadurch u.a. wichtige sozialpartnerschaftliche Traditionen "auf der Strecke bleiben".

 

Keine "One-Man-Show des Pfarrers" 

Zur Diözese Innsbruck und zur Kirche im Allgemeinen erklärte Glettler, ihm sei eine "solidarische Weggemeinschaft mit allen Menschen unseres Landes" wichtig - "ohne Ausgrenzung!". Unabhängig von der "permanent offenen Frage" der Zulassungsbedingungen zu kirchlichen Ämtern (in der Diözese Innsbruck gab es heuer nur eine Priesterweihe) wolle er "die Lebendigkeit, die es in vielen Pfarren gibt, verstärken und unsere Pfarrer entlasten". Diese sollten nicht die gesamte Verantwortung für das pastorale Management zu tragen haben, es gelte auch den "vielfältig begabten Gläubigen" mehr Verantwortung zu übertragen. "Kirche ist nicht die One-Man-Show des Pfarrers", sagte Glettler wörtlich.

Er wünsche sich insgesamt eine "Entkrampfung betreffend der Leitungsverantwortung" in Pfarren und Seelsorgeräumen. "Wir sind da bisher zu starr an die Vorgabe des Kirchenrechtes gebunden", merkte der Bischof an. "Gerne unterstütze ich auch die Initiative, dass das Diakonat auch für Frauen geöffnet wird." Zum Thema Priesterweihe von Frauen sagte Glettler wörtlich: "Ich stimme Ihnen zu, dass die Frage der Gleichbehandlung der Geschlechter sich in der Kirche mit immer größerer Brisanz stellt." Das habe sich auch bei der jüngsten Jugendsynode in Rom gezeigt. Unabhängig von der Weihe sei es "extrem wichtig, dass sich die Kirche durch ein herzhaftes soziales Engagement auszeichnet".

 

"Frischzellen für die Kirche" 

Hinsichtlich der stärkeren Einbindung von Laienchristen in Leitungsaufgaben äußerte sich der Innsbrucker Bischof optimistisch. Ab Jänner starte die Diözese mit sogenannten "Weggemeinschaften". Diese aus bis zu zwölf Personen bestehenden "Frischzellen für die Kirche" sollen zu wöchentlichen Treffen zu spirituellen und gesellschaftspolitischen Themen zusammenkommen, über das Sonntagsevangelium sprechen und "sich fragen, wo sie in der Nachbarschaft gebraucht werden". Die Kirche werde mit einem solchen Netzwerk von Kleingruppen näher und lebensrelevanter am Puls der Menschen sein, so Glettler zuversichtlich.

In Tirol erlebe er ein sehr gutes Miteinander in der Diözese sowie im Land. Er habe seit seiner Bischofsweihe am 2. Dezember 2017 viele bestärkende Momente wie z.B. die "Öko-Fair" und die Freiwilligenmesse erlebt. "Zu oft starrt man ohnehin nur auf die Defizite", merkte Glettler an. In seinem Dienst lasse er sich "nicht von theoretischen Konzepten, sondern von Aufgaben leiten, die sich stellen". Er versuche ein "doppeltes Hinhören - einerseits auf Gott, der uns ins Herz flüstert, und auf das, was die Leute bewegt" bzw. auf die vielfältigen "Zeichen der Zeit".

Am Heiligen Abend werde er zunächst einen Gottesdienst auf der Hospizstation in Hall in Tirol feiern - "für mich der stille Höhepunkt von Weihnachten, denn es gibt kaum einen Ort, wo die Schönheit und Zerbrechlichkeit des Lebens deutlicher vor Augen tritt". Die Christmette werde er im Tiroler Oberland feiern, kündigte Glettler an.

Eine Meldung von www.kathpress.at 

Bischof Hermann Glettler im Gespräch Bild: Diözese Innsbruck/Rachlé