Weise und närrisch

Eine Rückschau zum Petrus-Canisius-Musiktheater "Der Weise und der Narr" von Klaus Heidegger

aufgebrochen bist du
die Komfortzonen verließt du
ein Leiterwagen mit Büchern dein Zuhause
in die Welt hinein gingst du 

eine Welt voller Gewalt
und voll Sehnsucht nach Liebe
eine Christenheit in Trennungen
und voll Sehnsucht nach Einheit 

wenn Frauen erlitten Gewalt
hast du sie genommen in Schutz
wenn der Mob schrie nach Rache
hast du Versöhnung gewollt 

das Närrische hast du gekannt
es deckte auf die Fratze der Gewalt
es spiegelte wider egoistische Niedertracht
es entthronte den König 

das Weise hast du gelehrt
Worte Jesu lagen dir stets auf den Lippen
so fielen Steine des Hasses zu Boden
so verwandelte sich Aufruhr zu Frieden 

klaus.heidegger, 8. Juli 2021

 

Der Weise und der Narr

 

Genial! 

Schon als ich vor weit mehr als einem Jahr davon hörte, dass es ein Musiktheater – anfangs war noch die Rede von einem Musical – über Petrus Canisius anlässlich seines 500. Geburtstages und entsprechender Jubiläumsfeierlichkeiten geben wird, war ich gespannt auf die Umsetzung. Als Theologe interessiert mich vor allem die theologische Qualität des Skripts. Nachdem ich mit meiner Klasse gestern im Hof des Zeughauses in Innsbruck das Stück gesehen hatte, kann ich nun gleich vorneweg keine bessere Einschätzung geben als: Genial! Bernhard J. Lang hat das Stück im Auftrag der Diözese Innsbruck geschrieben. Er verknüpft historische Fakten rund um den Diözesanpatron von Innsbruck mit grundlegenden philosophischen und religiösen Kernfragen, die bis heute uns Menschen bewegen. Nicht nur als Autor, sondern auch als Regisseur hat Lang eine großartige Leistung vollbracht. Schade ist nur, dass es nicht gelang, mehr Zuseherinnen und Zuseher für dieses Stück zu gewinnen. Es hätte wohl auch auf den großen Bühnen dieser Welt gespielt werden können – und wenn man träumen darf, vielleicht gibt es einmal eine Fernsehproduktion davon.

 

Leiterwagen 

Schon die Fokussierung auf den Leiterwagen als Zentrum des Schauspiels ist Kern dessen, was die Vita des großen Predigers aus dem 16. Jahrhundert ausmacht. Petrus Canisius war unermüdlich unterwegs – Tausende Kilometer quer durch Europa. Sein Lebensmittelpunkt war letztlich nicht die Kanzel, nicht eine Gelehrtenstube, nicht die Sakristei oder eine Klosterzelle – all das gab es auch, sondern ein Ort des stetigen Unterwegsseins. Das freilich bedeutete: Er konnte bei den Menschen sein, er war getreu des Charismas seines Jesuitenordens ein Mensch, der in die Welt gesandt ist. Die Welt des 16. Jahrhunderts war geprägt von schrecklichen Bluttaten zwischen Christen. Es war die Zeit der Reformation und Gegenreformation. Es war die Zeit der Bauernkriege und der Hinrichtungen von Täufern. Petrus Canisius war gerade 15 Jahre alt, als vor dem Goldenen Dachl in Innsbruck beispielsweise Jakob Huter am Scheiterhaufen verbrannt wurde oder auf der Burg von Rattenberg Dutzende weitere Täufer hingerichtet worden sind. Es war die Zeit, als in Tirol bedeutsame Städte wie Schwaz oder Hall lutherisch wurden und auf der anderen Seite die katholische Kirche im Konzil von Trient nach einer neuen Orientierung suchte. Petrus Canisius war einer dieser Konzilstheologen. Es war auch die Zeit, als Frauen als Hexen denunziert und hingerichtet wurden. Kaiser und Könige – aber auch Päpste und bischöfliche Fürsten standen auf Seiten der Gewalt.

 

Gewalt an Frauen 

Wie wird der Autor des Stückes die Frage behandeln, wie sich Petrus Canisius zur Hexenverfolgung gestellt hat? Das ist wohl eine der heikelsten Punkte. Aus heutiger Sicht gibt es leicht eine Kritik, er habe sich gegenüber der grassierenden Angst vor den Hexen zu wenig abgegrenzt, ja er sei selbst von dieser Angst gefangen gewesen. Im Stück geschieht eine tiefgehende Interpretation. Als ihm von soldatischer Männergewalt eine gefesselte Frau vorgeführt wird, die der Hexerei bezichtigt wird, überwindet er letztlich in der konkreten Begegnung mit der Frau auch seinen eigenen Hexenglauben und wird zu einem Canisius, der sich schützend vor die Frau stellt. Sein Handkarren wird zum Refugium für die Verfolgte. Auch in diesem Punkt verstrickt der Autor zentrale Inhalte der feministischen Bibellektüre in sein Stück. Aus dem Mund von Petrus Canisius wird Jesus selbst als Person dargestellt, der sich schützend vor die Ehebrecherin stellte, als sie gesteinigt werden sollte, und der in seiner Nachfolgegemeinschaft Frauen wie Maria Magdalena oder Veronica hatte.

 

Petrus Canisius als Narr 

Benjamin Lang benützt in seinem Stück die so bekannte Kunstfigur des Narren. Es erinnert an die großen Klassiker der Literatur, beispielsweise an den namenlosen Narren in Shakespeares „King Lear“. Als Schatten seines großen Herrschers bleibt der Narr stets an der Seite Lears und versucht ihn durch seine Weisheit zur Vernunft zu bringen, um eine Katastrophe zu verhindern. Er will seinem Herrscher mit weisen Ratschlägen und Warnungen beiseite stehen. Petrus Canisius dürfte in seinen Predigten auch selbst immer wieder der Narr gewesen sein, wenn er den Mächtigen in Kirche und Gesellschaft einen Spiegel vorgehalten hat. Auf der anderen Seite lösen sich im Stück immer wieder die herrschenden Ordnungen auf, um Freiheit zu ermöglichen. Der König wird jemand, der wie ein Reittier einen Narren trägt, der Narr selbst bleibt nicht länger Außenseiter, sondern wird von Canisius gemeinsam mit der in Lüge und Angst verstrickten mutmaßlichen Mörderin in eine neue Freiheit geschickt.

 

Inszenierung 

Thomas Lackner, der Darsteller von Petrus Canisius, und Oliver Natterer als Narr, sowie Annalena Hochgruber – aber auch die anderen Darstellerinnen und Darsteller bieten großes Schauspiel. Die inhaltsschweren und tiefen philosophischen Dialoge münden dann in Musik, wenn es auf der Wortebene allein nicht mehr weiter geht. Die Musik schrieb Alexander Giner. Vielleicht hätte ich mir deswegen auch noch mehr Musik gewünscht, weil sie uns hilft, die Sehnsucht nach einer Überwindung von Gewalt und Zwietracht und nach Liebe und Einheit – die immer eine Begegnung mit dem Göttlichen ist – auszudrücken.

 

Klaus Heidegger