Osterriten in einer säkularen Zeit

Es gibt "christliche Ostern", und es gibt, "weltliche Ostern": Dies Unterscheidung trifft die Wiener Ethnologin, Helga Maria Wolf

Es gibt "christliche Ostern", und es gibt "weltliche Ostern": Dies Unterscheidung trifft die Wiener Ethnologin Helga Maria Wolf aufgrund der Beobachtung, dass der ursprüngliche
Sinn des zentralen Festes der Christenheit in einer säkularisierten, von Kommerzialisierung und Freizeitkultur geprägten Gesellschaft zunehmend aus dem Blick gerät.  

Doch auch wenn bunt gefärbte Eier schon zu Beginn der Festenzeit die Supermärkte füllen, Kunststoff-Palmkätzchen etwaigen Wintereinbrüchen trotzen und Ausflüge ins Grüne für viele den
Kirchgang ersetzen, rankt sich um Ostern noch reichhaltiges Brauchtum mit durchaus christlichem Gehalt, wie die Autorin des Standard-Werkes "Das neue Brauchbuch" im Gespräch mit "Kathpress"
erläutert. 

Die Karwoche (von althochdeutsch "chara", Trauer, oder "kara", Kummer) sei geprägt von intensiver liturgischer Feierlichkeit, begleitet von immer noch tief in der religiösen Kultur Österreichs
verankerten Bräuchen wie Palmweihe, Ratschen statt der "nach Rom geflogenen" Kirchenglocken, Kreuzwegandachten bis hin zu Speisensegnungen in der Osternachtsfeier. 

Altes vergeht, Neues entsteht 

Manche der religiösen Rituale gerieten und geraten allerdings laut Wolf in Vergessenheit - so die am Ostersonntag bis ins 19. Jahrhundert verbreitete Sitte der Priester, in ihre Predigten Schwänke und "Ostermärlein" einzuflechten, um einen lustigen Kontrast zur traurigen Fastenzeit zu setzen. Da die Scherze oft allzu derb und der Würde des Ortes unangemessen gerieten, verschwand das Blödeln von der Kanzel aus - nicht zuletzt unter dem Druck der kirchlichen Obrigkeit.

Es gibt aber auch, wie Wolf betont, interessante Neudeutungen alten Brauchtums: Als Beispiel nennt die Stadtethnologin das Bedürftigen zugute kommende Schuheputzen am Gründonnerstag durch die Initiative "action 365" als "moderne" Fußwaschung. Seit Beginn der 1990er Jahre hätten sich in Wien auch kleine Geschenke wie Osterkerzen für die Messbesucher oder von Pfarren initiierte  Osterspaziergänge eingebürgert.

Fruchtbarkeitssymbole Ei und Hase 

Weniger mit christlichem Glaubensgut als vielmehr mit archaischen Frühlingsfesten, die das Erwachen der Natur begehen, haben laut Wolf die allgegenwärtigen Ostersymbole Ei und Hase zu tun - beides Ausdruck von Fruchtbarkeit. Die Mär, dass der Hase Eier in einem Nest versteckt, die Kinder zu suchen haben, habe sich seit der Biedermeierzeit vornehmlich im städtischen Milieu ausgebreitet. "Die Kinder auf dem Land wissen ja noch, dass ein Hase keine Eier legt", unkt die Expertin.

Dass das Ei zu Ostern eine so große Rolle spielt, hat auch praktische Gründe, wie Wolf in ihrem Brauchbuch ausführt: Nach dem Winter gab es Eier in größeren Mengen, da sie in der Fastenzeit
nicht gegessen werden durften. 

Der Osterhase wiederum erlebte einen kräftigen Propagandaschub mit der industriellen Herstellung von Rübenzucker im 19. Jht., die auch zu einem lawinenartigen Anstieg der Produktion von Hasen und auch Eiern aus Zuckerwerk und Schokolade führte.

Warum Weihnachten vielen mehr bedeutet 

Dass sich Ostern nicht annähernd zu einem derartigen "Schenkfest" wie Weihnachten entwickelte und dessen wirtschaftliche und sozialpsychologische Bedeutung weit hinter dem winterlichen
Geburtsfest zurückbleibt, hat nach Ansicht Helga Maria Wolfs auch pekuniäre Gründe: Zu Ostern gebe es keine Weihnachtsremuneration, die die Leute zum Konsumieren anhält. 

Der Wiener Soziologe Prof. Reinhold Knoll findet auf die Frage nach dem theologisch unangemessenen Bedeutungsunterschied zwischen Weihnachten und Ostern noch einen anderen Grund - die "Bereitschaft zu infantiler Regression" rund um das Geburtsfest Jesu. Die Geburt
eines Kindes in der dunkelsten Zeit des Jahres biete höheres Idyllisierungspotenzial als ein auferstandener Gekreuzigter im Zentrum des Geschehens. Knoll bezieht sich auf Umfragen, die den
Glauben an die zentrale christliche Frohbotschaft von der Auferstehung der Toten auch unter regelmäßigen Gottesdienstbesuchern als keineswegs selbstverständlich erscheinen lassen. 

Auferstehung werde verdrängt durch "Substitute" in Form lebensverlängernder Medizin oder Jugend versprechender Kosmetik und Pharmazie. Der Soziologe ortet eine Gesellschaft, die "auf der
Flucht vor sich selber ist", eine, die über den Sinn des Todes nicht mehr gewillt sei nachzudenken, identitätsstiftende Rituale lieber in die Welt des Massensports verlegt und traditionelle Jahreskreisfeste zum Anlass für "Freizeitvertreib" nimmt. Man halte sich lieber an etwas Offenkundiges wie Geburt als an "Unwahrscheinliches" wie die Überwindung des Todes in einer neuen, anderen Form von menschlicher Existenz. 

Wie auch Weihnachten sei Ostern stark kommerzialisiert, meint Knoll. Der tiefere Hintergrund des Festes erschließe sich schon im Kindergartenalter nur mehr immer kleiner werdenden "Restgruppen", gerade im städtischen Milieu. Wobei - wie Knoll einschränkt - auch auf dem Land Ostern fernab seines Anlasses oft eher als "synkretistisches Frühlingsfest" begangen werde denn als Feier der Auferstehung von den Toten.

Wie eine Studie über "Interkulturelle und interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten", erstellt von einer Tübinger Forschungsgruppe unter Mitwirkung des katholischen Religionspädagogen Prof. Albert Biesinger, darlegt, begünstigt auch die zunehmende Multikulturalität die Akzentverschiebung Richtung Weihnachten: Beide Anlässe werden in den untersuchten Betreuungseinrichtungen begangen. Weihnachten wird in 72,3 Prozent aller Tagesstätten immer gefeiert und dabei auch
nichtchristlichen Kindern von der Geburt Jesu erzählt. Ostern dagegen wird - so die Studienautoren - viel eher säkularisiert und insbesondere in nicht-konfessionellen Einrichtungen in Form eines
Frühlingsfestes gefeiert (72 Prozent). 

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