Muttertag: Die tägliche Versorgung

Wortlaut der Predigt von Bischof Hermann Glettler im Gespräch mit Angelika Stegmayr beim Radiogottesdienst am 10. Mai im Bischofshaus.

Die tägliche Versorgung

 Ich bin die Frau zwischen nicht mehr jung und noch nicht alt.
Ich bin der Mensch dazwischen: als Mutter, als Frau, als Tochter.
Ich bin in der Pufferzone zwischen Ehemann und Kindern,
zwischen Großeltern und Enkeln,
zwischen Kranken und Gesunden,
zwischen dieser und jener Weltanschauung.
Ich bin das Korn zwischen zwei Mühlsteinen, die Olive in der Presse.
Von zwei Seiten gedrückt, gepresst, bedrängt.-
Lass mich die Mitte sein, die in dir ruht, Gott! 

AS: Dieses Gebet von Maria Grünwald berührt mich sehr. Manches daraus kenne ich nur allzu gut und ich glaube es geht vielen ähnlich. Egal ob Mann oder Frau, Single oder Familienmensch, alt oder jung, manchmal wird einem alles zu viel. Man müht sich von früh bis spät und erreicht das Geplante nie. Lieber Herr Bischof, ist das ein zu ernüchternder Einstieg für die Muttertagspredigt?

1.     Wie geht das mit den zu hohen Erwartungen? 

BH: Nein, voll okay. Ich finde diesen „Life-Einstieg“ sehr ansprechend. Wir reden nicht lange um den Brei herum. Liebe Angelika, Danke, dass Du mich heute unterstützt, die Frohe Botschaft zu verkünden. Das wirklich Tröstende und Befreiende des Evangeliums erreicht uns nur dann, wenn wir unser Leben ehrlich in den Blick nehmen. Soweit ich Dich kenne, lebst Du eine doppelte Leidenschaft – einerseits mit Deiner Familie und andererseits in Deiner beruflichen Verantwortung als Leiterin des Katholischen Bildungswerkes. Freude und Überforderung liegen oft eng zusammen, oder?

AS: Das Beglückende von Familie ist für mich, die bedingungslose Liebe, die ich erfahren darf. Unsere Partnerschaft und unsere Töchter empfinde ich als großes Geschenk: Die Lebensfreude unserer Kinder, die so ansteckend ist, dass nur der Moment zählt. Die Gespräche und der Rückhalt durch meinen Mann. Die vielen Dinge, die wir zu viert gemeinsam erleben – all das erdet und bereichert mich. Manchmal überholt mich jedoch mein Leben in seiner Vielfalt. In diesen Momenten habe ich das Gefühl, nichts und niemandem gerecht zu werden. Also: Stress mit „täglicher Versorgung“!

BH: Der Bericht aus der Apostelgeschichte konfrontiert uns mit dem Stress bei der täglichen Versorgung der Witwen. Es kam in der Urgemeinde zu Spannungen, weil diese neue Aufgabe zu viel Zeit und Energie absorbierte. Die Apostel haben mit der Einsetzung von Diakonen eine richtungsweisende Lösung gefunden. Es war ihnen bewusst, dass „der Dienst an den Tischen“, d.h. die Sorge um die Ärmsten wesentlicher Teil des christlichen Zeugnisses ist. Ebenso wichtig ist die Verkündigung des Wortes Gottes. Schließlich benötigt auch die Seele ihre „tägliche Versorgung“.

2.     Nur mit Vertrauen können wir uns der Zukunft stellen 

AS: Ja, ich kann dem gut folgen – gilt es doch analog auch für uns als Familie. Zu kochen, zu waschen, zu lernen, zu putzen, Ordnung in unser Zuhause zu bringen, ist das eine. Aber viel wichtiger ist die Versorgung mit dem, was wir Menschen über das Materielle hinaus zum Leben brauchen: Zuwendung, Nähe und Vertrauen. Auch das heutige Evangelium schildert Ohnmacht und Bedrängnis. Jesus vertraut den Jüngern an, dass er zum Vater gehen wird. Diese Ankündigung trifft sie hart. Im ersten Moment: Angst, Verzweiflung, Panik, Zukunftssorgen – ein beunruhigender Mix.

BH: Jesus hält ihnen entgegen: Euer Herz lasse sich nicht wirr machen – nicht hineinziehen in den Strudel der Ängste und negativen Prognosen! Habt Glauben! Jesus sagt: Ich bin! Ich bin Weg, Wahrheit und Leben. Es ist die vertraute Zusage von Gottes Dasein – inmitten größter Not. Heute enorm wichtig – konfrontiert mit vielen negativen Folgen des wirtschaftlichen und sozialen Shut-Downs. Wie geht es weiter? Niemand hat die Zukunft in der Hand. Es nützen keine Verschwörungs-theorien und keine Esoterik. Gottvertrauen setzt neue Kräfte frei. Hast Du das erfahren?

AS: Ja, Gott sorgt vor. Konfrontiert mit Krankheit oder dem Tod eines geliebten Menschen konnte ich oftmals den Glauben als Stütze erleben. Gebete und christliche Symbole waren für mich und meine Familie in diesen sprachlosen Momenten ganz wichtig – auch die Zusage, dass andere uns im Gebet begleiten. Also Mut, Gott zu vertrauen! Schon zu Beginn unseres Lebens hat er zu uns Ja gesagt. Seine fürsorgende Liebe hängt nicht von unseren Noten und Arbeitszeugnissen ab. Wir versuchen dies unseren Kindern zu vermitteln. Aber Fragen bleiben – vor allem nach dem persönlichen Weg.

3.     In der Familie und bei Gott keine Maskenpflicht 

BH: Ich muss an einen Taxifahrer denken, der mich auf der Fahrt zum Friedhof fragte, wo er abbiegen soll. Ich entgegnete, dass er dies selbst entscheiden kann. Als er mit entgegenhielt, nicht um die Kurve schauen zu können, musste ich ihn enttäuschen, dass ich das auch nicht schaffe. Als Menschen sehen wir immer nur bis zur nächsten Kurve. Gott sieht das Ganze. Oft erkennen wir erst im Nach-hinein, dass wir gut geführt wurden. Heute begegnet uns Jesus nicht als kluger Ratgeber, sondern bringt sich selbst ins Spiel, er zeigt sich – und damit Gott selbst: „Wer mich sieht, sieht den Vater.“ 

AS: Ich möchte das Stichwort „Wohnung bereiten“ aus dem Munde Jesu aufgreifen. Die himmlischen Wohnungen sind das eine, aber ich weiß, dass Gott jetzt schon bei uns wohnen will. Er steht nicht auf Prunk. Das Alltägliche ist ihm lieber. Er will hautnah mit dabei sein, in den schönen und schweren Momenten. Er legt nicht Wert auf die geputzten Fenster oder blank polierten Schuhe. Auch die besten Banksicherheiten interessieren ihn nicht. Er möchte uns mit seiner Gegenwart erfüllen. In diesem familiären Verhältnis brauchen wir keine Gesichtsmasken und keine Sicherheitsabstände.

BH: Schönes Bild! Für verlässliche Beziehungen braucht es keine Masken – auch nicht für unseren Umgang mit Gott. Als Glaubende sind wir jetzt schon Teil seiner Großfamilie. Liebe Angelika, mit dem Blick auf viele Überforderungen in Beruf und Familie  haben wir unser Gespräch begonnen. Die tägliche Versorgung war unser Stichwort. Wir haben erkannt, dass wir alle füreinander Nahversorger mit dem Lebensnotwendigen sein können – mit einem Wort des Trostes, mit einer Ermutigung und mit einem einfachen Zeugnis des Glaubens. Danke für Dein Beispiel – und Viel Gutes zum Muttertag! 

AS: Danke! Das Wort Gottes ist für mich heute, gerade weil Muttertag ist, die Aufforderung, meine Pläne und Prioritäten mutig anzusehen. Jesus fordert uns auf: Wag es, liebe los, lebe, zeig dich wie du bist und fühlst, tausche Perfektionismus gegen Lebensfreude, Verzweiflung gegen Mut, Angst gegen Gottvertrauen!