Innsbruck: Diözese und Uni gedenken 500 Jahre Petrus Canisius

"Dies facultatis" und Diözesantag im Zeichen des Patrons und Heiligen - Glettler: "Faszinierender Heiliger mit Schattenseiten", der sich um "Synthese des Glaubens" in schwieriger Zeit bemühte - Biograf Moosbrugger: Mystik und "Weltfreudigkeit" gehen bei Canisius Hand in Hand - Pinz: Canisius ist Vorreiter eines modernen Bildungsverständnisses

Taugt der vor 500 Jahren geborene Heilige, Ordensmann und Vorkämpfer der katholischen Gegenreformation, Petrus Canisius (1521-1597), als Vorbild auch für heute? Dieser Frage geht am Dienstag der "Dies facultatis" der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck nach, der zugleich als "Diözesantag" begangen wird. Unter dem Titel "Petrus Canisius. Spiritualität - Bildung - Ökumene - Mission" werden in der Online-Tagung biografische Fragen ebenso beleuchtet wie Bezüge zur aktuellen pastoralen Fragen hergestellt. Eröffnet wurde die Tagung am Dienstagmorgen von Diözesanbischof Hermann Glettler, der Canisius als "faszinierenden Heiligen mit Schattenseiten" beschrieb; faszinierend, weil er sich um eine "Synthese des Glaubens" in schwieriger Zeit bemühte, so Glettler zum Auftakt. Er bezeichnete den Diözesanpatron als „Schrittmacher einer neuen Evangelisation“. Der "Dies facultatis" sei auch der Versuch einer Zusammenschau: "Was ist dieser Schatz des Glaubens, was ist das wesentliche für heute?"

 

Den inhaltlichen Auftakt bot dann der Innsbrucker Theologe und Canisius-Biograf Mathias Moosbrugger, der zuletzt aus Anlass des 500-Jahr-Jubiläums die Publikation "Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten" (Tyrolia-Verlag) vorgelegt hat. Die These Moosbruggers, die er in seinem Online-Vortrag entfaltete, lautet, dass bei Canisius Mystik und "Weltfreudigkeit" gleichsam Hand in Hand gingen und er darin letztlich sogar mit dem Jesuiten und prominenten Innsbrucker Theologen Karl Rahner (1904-1984) vergleichbar sei. "Weltfreudigkeit" bedeute schließlich keinen "oberflächlichen Optimismus" im Blick auf die Welt - dies sei Rahner wie Canisius fremd gewesen -, sondern eine Annahme der Welt als von Gott gegebenes Zuhause, das es zu gestalten gelte.

 

So sehr die von der Reformation umgekrempelte Welt für den durch und durch katholisch denkenden und empfindenden Canisius "zum Verzweifeln" war, so sehr er vor dieser Welt fliehen wollte, so sehr war er zugleich davon überzeugt, dass Gott selbst alles zum Guten wenden würde, so Moosbrugger: "Petrus Canisius trat mit Nachdruck für klare religiöse Haltungen ein und vertraute zugleich darauf, dass Gott auch in einer zunehmend unkatholischen Welt auf anderen Wegen Heil wirken wird."

 

Über das Projekt "Zukunftswerkstatt" der Jesuiten in Innsbruck berichtete schließlich dessen Leiter Helmut Schumacher. Die im vergangenen Herbst eröffnete Einrichtung ist ein Angebot für junge Erwachsene, die vor wegweisenden beruflichen und persönlichen Lebensentscheidungen stehen und Begleitung suchen.

 

Canisius als Vorreiter moderner Bildung
Auf die Bedeutung von Petrus Canisius für den Bildungssektor damals und heute verwies die Leiterin des Schulamtes der Erzdiözese Wien, Andrea Pinz. Durch sein grenzüberschreitendes Denken und Verständnis von Bildung sei Canisius bis heute ein "europäischer Visionär". Von ihm als "Bildungsversessenen" lasse sich für heute etwa lernen, dass Bildung einer festen "Mitte" bedarf, dass sie nur "mit offenen Augen und Ohren" und dem "Mut, neue Wege zu gehen" gelingen könne und daher der Kooperation auch über konfessionelle Grenzen hinweg bedarf. Die Antwort auf eine zunehmend säkulare und plurale Welt könne nicht in einem "Rückzug in den Exklusivismus" im katholischen Bildungsbereich bestehen, sondern sie liege mit Petrus Canisius darin, voneinander zu lernen im Wissen über die eigene, auch religiöse Herkunft und Wurzel. 

Polak: "Heute religiös sein heißt, interreligiös zu sein"

Wiener Theologin bei Innsbrucker "Dies facultatis": Mit interreligiösem Dialog zunehmender Islamfeindlichkeit und Formen des Antisemitismus in Österreich entgegenwirken - Dogmatiker Siebenrock: "Christentum wird zerstört, wenn es im Schatten der Macht kommt"

"Heute religiös sein heißt, interreligiös zu sein": Unter diese These hat die Wiener Theologin Regina Polak am Dienstag ihre Ausführungen beim "Dies facultatis" der Universität Innsbruck, zugleich Diözesantag "500 Jahre Petrus Canisius SJ", gestellt. Damit sei gemeint, dass es in einer religiös pluralen Welt unausweichlich ist, interreligiös zu sein, d. h. positive Beziehungen zu Gläubigen anderer Religionen oder auch zu Areligiösen zu haben. Die heutigen Gesellschaften, die auch aufgrund der Migrationsströme religiös immer heterogener werden, erfordern von den Katholikinnen und Katholiken eine hohe Bereitschaft zum echten Dialog mit Andersdenkenden, betonte Polak im Rahmen der Online-Veranstaltung.

Die Pastoraltheologin, die auch als OSZE-Sonderbeauftragte im Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, mit Fokus auf Christen und Angehörige anderer Religionen, engagiert ist, forderte kirchlicherseits Bildungsangebote über andere Religionen für seelsorglich Tätige und Gläubige, "damit Vorurteile ausgeräumt werden können und der religiöse Relativismus überwunden wird". Es gelte auch Abschottungen und ungerechtfertigte Ängste entgegenzuwirken, die "Barrieren errichten wie auch Unverständnis und Gewalt provozieren", mahnte Polak.

Die mit der Auswertung der jüngsten Europäischen Wertestudie befasste Theologin nannte die zunehmende Islamfeindlichkeit in Österreich als Herausforderung, der mit interreligiösem Dialog zu begegnen sei; nach wie vor präsent seien auch verschiedene Formen des Antisemitismus. Zugrunde liege dem eine "Ideologie der Ungleichheit", die sich im Kontext von Abstiegsängsten, Perspektivlosigkeit und politischer Ohnmacht gegen religiöse Diversität richte und auch zwischen ökonomisch "nützlichen" und "nutzlosen" Menschen unterscheide.

Interreligiöser Dialog "empirisch notwendig"
Angesichts dessen sei interreligiöser Dialog "eine empirische Notwendigkeit", so Polak. Die Christen müssen dafür erst gewonnen werden, auch wenn die Katholische Kirche die einzige Religionsgemeinschaft sei, die über eine auf Universalität hin angelegte lehramtliche Theologie dieses Dialogs verfüge. Das Judentum wie auch der Islam kenne eine derart verbindliche Autorität nicht, die sich etwa im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) wertschätzend über andere Religionen äußerte. Für Christen gebe es somit neben soziologisch-gesellschaftspolitischen Argumenten auch theologisch gute Gründe für interreligiösen Dialog, führte Polak aus: "Pluralität hat ihren Ursprung im Schöpfungswillen Gottes, der jeden Menschen als sein Ab- und Ebenbild schafft." 

Die Theologin unterschied verschiedene Ebenen des interreligiösen Dialogs, der nicht nur auf Expertenebene zu führen sei. "Ort der Bewährung" sei jedenfalls die Ebene des Alltags mit wechselseitiger Wahrnehmung und Kommunikation bis hin zu Einladungen. Beim "Dialog des Handelns" gehe es um gemeinsamen Einsatz für Friede, Freiheit, Gerechtigkeit oder Umwelt. Der Dialog des theologischen Austausches der Experten und Religionsvertreter sei zu ergänzen durch jenen der spirituellen Erfahrung und Praxis. Sich etwa beim gemeinsamen Beten auf die spirituelle Erfahrung des Anderen einzulassen ist laut Polak die schwierigste Ebene.

Sie zitierte aus der 34. Generalversammlung des Jesuitenordens, der als Maxime festhielt: "Kein Dienst am Glauben ohne Förderung der Gerechtigkeit, Eintritt in Kulturen, Offenheit für andere religiöse Erfahrungen." Freilich: Interreligiöser Dialog sei kein "Allheilmittel" und "keine harmonische Idylle", politische Probleme müssten politisch gelöst werden, so Polak. Sehr wohl aber könne dieser Dialog zur Suche von Problemlösungen beitragen.

Wege zu Gott sind vielfältig
Der Innsbrucker Dogmatiker Prof. Roman Siebenrock erinnerte in seinem Statement an den emeritierten Papst Benedikt XVI., der auf die Frage, wie viele Wege es zu Gott gibt, einmal geantwortet habe: "So viele wie es Menschen gibt." Durch seine unlösbare Verwurzelung im Judentum und die spätere Ausrichtung auf die "Heiden" bzw. Nichtjuden sei das Christentum konstitutiv interreligiös, sagte Siebenrock. 

Als Beispiel für eine spirituell begründete Offenheit für unterschiedliche Glaubenswege verwies der Theologe auf die 1943 von Chiara Lubich gegründete Fokolarbewegung. Dieser können den im Jahr 2007 vom Vatikan approbierten Statutenänderungen zufolge Menschen aus unterschiedlichen Konfessionen, Religionen und auch nichtreligiösen Weltanschauungen angehören - und dies auch im innersten Kreis. Zur vom Dialog zu unterscheidenden Mission erklärte Siebenrock, nach den Worten Lubichs müsse sie Maß am armen, machtlosen Jesus nehmen, nicht am herrschenden Pantokrator. "Das Christentum wird zerstört, wenn es im Schatten der Macht kommt", betonte Siebenrock.

Foto: Guggenberger

Theologe sieht Billie Eilish als Anstoß zu Kirchenöffnung

"Mission possible"-Autor Neubauer bei Innsbrucker "Dies facultatis": US-Popstar trifft mit Sehnsucht nach wahrer Heimat den "Nerv der Zeit" - Kirche soll es wagen, sich im Kontakt mit der Welt "schmutzig zu machen"

Die US-Popsängerin Billie Eilish bringt als "Ikone" der heutigen Jugend in ihren Songs glaubhaft Stimmungen wie Sehnsucht nach wahrer Heimat oder Gemeinschaft zum Ausdruck und kann dadurch für die Kirche zum Anstoß werden, sich auf fremde Lebenswelten einzulassen. Diese These hat der Wiener Theologe und Autor des Erfolgsbuches "Mission possible", Otto Neubauer, in einem Online-Vortrag vertreten. Mit ihrer kreativen Verarbeitung der nicht nur bei Jugendlichen vorfindlichen "Suche nach dem Mehr" treffe der erst 19 Jahre alte Superstar den "Nerv der Zeit". Denn es stimme gar nicht, dass sich heutige Zeitgenossen gar nicht mehr für Gott interessieren, wie Neubauer sagte.

Der Leiter der Wiener "Akademie für Dialog und Evangelisation" äußerte sich im Rahmen des  "Dies facultatis" der Universität Innsbruck am Dienstag, zugleich Diözesantag zum Thema "500 Jahre Petrus Canisius SJ". Er habe sich mit der Musik und den Texten Billie Eilishs zuletzt intensiv auseinandergesetzt, sein anfänglicher "Verdacht einer oberflächlichen Emotionalisierung" habe sich beim genauen Hinhören bald zerstreut, erzählte Neubauer. Er zitierte aus einem Interview mit der Songwriterin, die bei ihren Konzerten keine "Fans" sehe, sondern jungen Menschen mit denselben Gefühlen und Problemen wie sie selbst sie habe.

Neubauer erinnere das, wie er sagte, an die Anfangsworte des Konzilskonstitution "Gaudium et spes", wonach die Kirche die Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute teilen wolle. Mission könne heute nur bedeuten, sich auf die Lebenswirklichkeit der Menschen einzulassen, unabhängig davon, wie nahe sie der Kirche stehen. Dabei dürften die Kirche und ihre Vertreter nicht der Täuschung erliegen, "besser zu sein als andere und leichtfertig über andere in der Welt zu urteilen". Jesus selbst sei als Freund der Sünder und Geldeintreiber denunziert worden, auch heutige Christen sollten als Freunde von Menschen gelten, an denen sie sich vermeintlich schmutzig machen.

Neubauer plädierte dafür, Menschen nicht zu kategorisieren, sondern "Weggefährte" zu sein. Manche davon, wie ein mit ihm befreundeter, lange beharrlich agnostischer SPÖ-Politiker, würden dann zum Glauben finden. Der Betreffende sei zwar kein braver Kirchgänger geworden, nachdem es ihn - wie er sagte - "erwischt" hatte, aber er sehe sich als "Freund Jesu", der immer wieder auch in der Wiener "Gemeinschaft Emmanuel" Neubauers präsent sei. Dass es solche christliche Gemeinschaften gibt, sei wichtig für Gastfreundschaft und familiäre Anschlussfähigkeit, so der Theologe.

"Auch fremder Boden trägt"
Auch der danach referierende Innsbrucker Pastoraltheologe Christian Bauer hält es für notwendig, dass sich die Kirche für "außen" öffnet und aus verschlossenen Systemen ausbricht. Im Missions-Teil des "Dies facultatis" stellte er die auf Johannes Paul II. zurückgehende "Neuevangelisierung" der älteren, auf Paul VI. und von Franziskus aufgegriffenen "Evangelisierung" gegenüber. Erstere setze beim Vermitteln des Glaubens auf monologisches Lehren und auf Fremdbekehrung, letztere auf dialogisches Lernen und "Eigenbekehrung": Nicht erst die Missbrauchsskandale hätten gezeigt, dass Sündhaftes auch im Inneren der Kirche und nicht nur im "Vorhof der Heiden" zu finden sei. 

Bauer griff ein Symbol auf, das beim Innsbrucker Jubiläum "500 Jahre Petrus Canisius SJ" eine Rolle spielt: Die Pilgerschuhe des Jesuiten der Gegenreformationszeit, die nun ein Tiroler Schuster nachfertigte, sollten als Impuls dienen, als Kirche "nicht bei uns selbst zu bleiben", sondern wie der wanderfreudige Canisius in die Welt hinauszugehen. "Auch fremder Boden trägt", so Bauer.

 

Eine Meldung von www.kathpress.at

(Der "Dies facultatis" zum Nachhören: www.youtube.com/watch?v=2_iyt1OIY70)

Foto: Quast-Neulinger