Im Wortlaut: Bischof Glettler zum 4. Fastensonntag

In der Schule! Auch zu Hause. Unter diesen Titel stellt Bischof Hermann Glettler seine Predigt zum 4. Fastensonntag, die er heute im Radiogottesdienst in seiner Hauskapelle gehalten hat.

Liebe Schwestern und Brüder!

Die Ereignisse haben uns überrollt. Die von der Regierung verordneten Maßnahmen bedingen eine radikale Einschränkung unserer alltäglichen Gewohnheiten. Die Konsequenzen für das komplexe Zusammenspiel einer gesellschaftlichen Ordnung sind noch nicht abschätzbar – enorme Herausforderung für unsere Gesundheitseinrichtungen, hohe Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Belastung … und vieles mehr. Die Krise hat uns in eine Schule genommen, der wir jetzt nicht ausweichen können. Gott hat uns in die Schule genommen! Wir befinden uns in einem kollektiven Lernprozess. Ob wir ihn tatsächlich erfolgreich bestehen, ist noch nicht entschieden. 

 

Lernen! Nur von einem positiven Zeugnis zu träumen, nützt nichts! 

Wir feiern den Gottesdienst heute hier im ältesten Schulhaus Tirols, das bereits im 15. Jahrhundert errichtet wurde und bis ca. 1760 in Betrieb war. Dann wohnten hier die Kooperatoren der Pfarr- und Wallfahrtskirche von St. Jakob. Im 20. Jhdt. ist es zum Bischofshaus umfunktioniert worden. Die Erinnerungen und Gefühle, die wir mit Schule verbinden sind nicht nur positiv, oder? Vieles war lustig und bleibt positiv abgespeichert, anderes nicht. "In die Schule genommen zu sein" drückt schon aus, dass wir uns die Lektionen meist nicht aussuchen können. Jetzt müssen wir uns bewähren – die Corona-Krise hat unseren Alltag verändert. Nehmen wir diese harte Schule an? Ob wir mit einem positiven Zeugnis aussteigen, ist noch nicht klar. Lernen wir wirklich? Haben wir aus der Krise von 2008 gelernt? Lernen wir eine Veränderung unseres Lebensstils aufgrund der erschreckenden Daten betreffend Umwelt, Weltklima, Zerstörung der natürlichen Ressourcen?

Liebe Kinder, ich weiß, dass viele von euch jetzt auch zusehen. Ich bewundere Euch! Ich höre, dass Ihr es tatsächlich schafft, zu Hause zu bleiben – ohne dass gleich der Vollstress ausbricht und die Hölle los ist. Danke für Euer Verständnis. Es ist nicht leicht - ohne Spielplatz und ohne Oma und Opa besuchen zu können. Aber telefonieren und Skypen geht doch, oder?! Und das E-Learning? Läuft wahrscheinlich besser als gedacht. Viel Spaß dabei und Durchhaltevermögen! In den nächsten Tagen werde ich euch einen Brief schreiben. Ich möchte euch einladen, Zeichnungen und Gebete zu gestalten zum Thema: "Alles wird gut!" Bitte helft uns mit euren Ideen – denn wir alle dürfen jetzt nicht mutlos werden, genervt oder total verängstigt. Jesus hat gesagt: "Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ich werde euch Ruhe verschaffen!" Wichtig ist, mit Liebe zu beten, niemanden auszuschließen. Danke für eure Hilfe. Ja, auch das ist eine Schule. 

Was werden wir aus der Krise lernen? Die Kinder lernen, dass das Hotel Mama nicht alles selbstverständlich bietet. Mithilfe ist angesagt. Jeder leistet seinen Beitrag. Vielleicht werden wir mit großer Dankbarkeit nach der Krise auf diese Zeit zurückblicken. Vielleicht werden wir sagen können: Ja, wir haben die Dankbarkeit wieder erlernt. Die offenkundige Zerbrechlichkeit und Verwundbarkeit unseres Lebens hat uns einen achtsameren Lebensstil gelehrt – mit- und füreinander, nicht gegeneinander. Auch einen rücksichtsvolleren Umgang mit der Schöpfung Gottes. Und wenn wir sagen könnten: Wir haben unseren Lebensstil zum Guten verändert. Wir haben die Mechanismen der Gier und Unersättlichkeit durchschaut und gelernt, sanftmütiger, geduldiger, dankbarer, ja menschlicher zu leben? Jesus sagt es uns heute ganz deutlich: "Jetzt ist der Tag! Jetzt müssen wir handeln – im Sinne Gottes, seine Werke tun. Wir dürfen nicht warten, bis es Nacht wird!" Es könnte eine Zeit kommen, wo es zu spät ist. Nacht steht für Ohnmacht. Jetzt lichtvoll handeln!

 

Wasch Dich! Wer beschuldigt, macht sich schmutzig! 

Aber was ist zu tun? Beginnen wir mit den Hygienebestimmungen: "Wasch Dich!"  Im Zugangsbereich aller öffentlichen Einrichtungen, also nicht nur dort, wo es um medizinische Versorgung, um Pflege und Soziales geht, stehen die Desinfektionsmittel fürs Händewaschen bereit. Ja, es ist einfach notwendig: Wasch Dich! Vorbeugend und nach jedem Kontakt, wo eine Infektion hätte stattfinden können. Um das Waschen, Rein-werden und Heil-werden geht es im heutigen Evangelium. Jesus sieht unterwegs den Blindgeborenen. Keine Bitte um Heilung oder große Emotion. Unaufgeregt ging Jesus ans Werk. Wie ein traditioneller Heilpraktiker macht er mit Speichel und Erde einen Teig und legt ihn dem Blinden auf die Augen. Dann folgt die knappe Anweisung: "Wasch Dich, dort im Teich!" Der Mann, der seiner Geburt blind war, tut es. Geheilt kehrt er zurück. Ist doch einfach, oder?

Hygienevorschriften beachten, Abstand einhalten und zu Hause bleiben! Dieselben Hygienevorschriften brauchen wir für unsere Seele. Oft ist es nicht der große Dreck, aber viel Feinstaub, der sich auf unser Herz legt, Bitterkeit, Vorwürfe, Unzufriedenheit, … Wasch Dich! Auch innerlich. Und wir müssen uns ebenso vor den Krankheitskeimen schützen, die uns innerlich befallen. Sie schwächen Lebensfreude und Vertrauen. Schutzmaßnahmen sind notwendig – vor dem Virus des Stolzes und der Besserwisserei, vor dem Virus der Lüge und der unstillbaren Gier. Wer ist gegen diese Krankheitserreger immun? Sie stören und töten Beziehungen und führen ins Unheil. Wasche Dich! Weil das nicht so leicht geht, ist der Hinweis wichtig: Wasch Dich im Teich "Schiloach", das heißt übersetzt Gesandter, ein besonderer Name für Jesus. Er kommt von Gott – und ist Gott. Du kannst ihm all deinen inneren Schmutz anvertrauen. Tauch ein in seine Barmherzigkeit!

Der heilenden Aktion ging eine Frage der Jünger voraus. Sie wollten von Jesus wissen, wer denn gesündigt habe, sodass dieser arme Kerl von seiner Geburt an blind sein musste. Er selbst oder seine Eltern? Reflexartig kommt diese Frage, wenn ein Unglück passiert, wenn etwas schief läuft oder ein Problem auftaucht. Es muss doch jemand schuld sein! Die Frage kommt auch bei plötzlich hereinbrechenden Krankheiten: Warum muss mir das passieren? Stressmomente begünstigen diesen Reflex des Beschuldigens. Jesus hebelt diese krankhafte Suche nach den Schuldigen aus. Mit seiner souveränen Lehrautorität sagt er Nein. Im Gegenteil: Gerade an diesem schwachen Menschen soll die ganze Herrlichkeit Gottes offenbar werden. Gott kann jede Not verwandeln! Die Versuchung, Schuldige zu benennen, weil dies oder jenes nicht rechtzeitig angeordnet oder durchgeführt wurde, ist uns jetzt sehr vertraut. Ja, Manöverkritik ist notwendig, dafür wird es Zeit brauchen. Aber hüten wir uns vor Abrechnungen und verletzender Kritik. Wer lieblos beschuldigt, hilft niemandem.

 

Licht werden! Schritt für Schritt gemeinsam! 

Der couragierte Geheilte ging seinen Weg – von Verhör zu Verhör. Gerade in der Auseinandersetzung, in die er verstrickt wird, reift seine Überzeugung. Es wächst sein Selbstbewusstsein und es profiliert sich sein Glaube. Selbst die eigenen Eltern sind für ihn nicht in die Bresche gesprungen. Trotzdem ist er als Mensch gereift, vielleicht gerade deshalb. Was bringt uns die Krise? Wir wissen es noch nicht. Ich sehe neben der wachsenden Sorge auch ganz deutlich, dass Menschen lichtvoller werden. Sie beginnen sich um Nachbarn zu sorgen, die sie sonst ja kaum mehr gegrüßt haben. Ganz kreativ werden einander Signale der Verbundenheit gegeben. Ich war persönlich überrascht, wie viele gut qualifizierte Leute sich für den Dienst des Zuhörens bei der Corona-Sorgen-Hotline gemeldet haben. Und vieles mehr könnten wir gemeinsam aufzählen.

Der geheilte Mann erlebt einen persönlichen Parcours des Lichtwerdens. Das war für ihn alles andere als ein Spaziergang. Es war ein Parcours durch viele Enttäuschungen und Momente der Einsamkeit hindurch. Das bleibt niemanden erspart. Die Krise seiner Neuorientierung hat ihn letztlich stärker gemacht. Sein Glaube ist gereift. Anfangs spricht er nur von einem Mann, der Jesus heißt. Beim nächsten Verhör bezeugt er bereits, dass der unbekannte Heiler ein Prophet sei. In der nächsten hitzigen Debatte bezeichnet er Jesus als jemanden, "der von Gott kommt". Schlussendlich kniet er sich vor Jesus nieder und spricht ihn als "Kyrios", als Herr an. In der aktuellen Corona-Krise erlebe ich, dass in vielen Menschen ein Umdenken stattfindet. Was zählt denn wirklich? Eine Sehnsucht wird wach, eine Ahnung von Gottes Gegenwart – vielleicht sogar ein Glaube. Gehen wir den Weg des Licht-Werdens in der Schule Jesu gemeinsam – behutsam, unaufgeregt und solidarisch mit allen, die eine Finsternis zu bestehen haben.