Hirtenwort: Pladoyer für konstruktives Miteinander und Solidaritätspakt

In ihrem gemeinsamen Hirtenwort zum Pfingstfest 2020 plädieren die österreichischen Bischöfe für eine soziale, wirtschaftliche und kulturelle Neuausrichtung der Gesellschaft. Das Schreiben wurde am 27. Mai bei einer Pressekonferenz im Garten des Hauses der Begegnung in Innsbruck präsentiert.

"Für eine geistvoll erneuerte Normalität" – so lautet der Titel eines Schreibens der österreichischen Bischöfe, mit dem sie sich zu Pfingsten ausdrücklich an alle Menschen in Österreich wenden, nicht nur an die Gläubigen. Als Leitmotiv des Textes wählten die Bischöfe sieben Begriffspaare gewählt, die sie als Gabe des Heiligen Geistes im Licht der Corona-Krise deuten.

Aufbruch und Verständigung 

"Wir brauchen einen neuen Geist. Das pfingstliche Ur-Wunder von Verständigung und Aufbruch ist heute möglich und nötig", so Bischof Glettler, der das Schreiben am 27. Mai im Garten des Hauses der Begegnung in Innsbruck präsentierte. An seiner Seite standen drei VertreterInnen von diözesanen Diensten, deren Wirken sich in besonderer Weise im Schreiben der Bischöfe spiegelt: Daniela Soier, Umweltbeauftragte der Diözese Innsbruck, Hildegard Anegg, Leiterin der Klinik- und Krankenhausseelsorge und Georg Schärmer, Direktor der Caritas.

Ein neuer Lebensstil 

Anlass des Schreibens ist neben dem Pfingstfest auch der fünfte Jahrestag des Erscheinen des päpstlichen Schreibens "Laudato si", mit dem Papst Franziskus den Blick auf den immer dringender werdenden Kurswechsel hin zu einer ökologischen und die Schöpfung bewahrenden Lebensweise lenkt. "Jetzt ist die Zeit für einen neuen Lebensstil und für politische Entscheidungen, die mithelfen, eine finale Erschöpfung unseres Planeten noch zu verhindern", so Bischof Glettler bei der Pressekonferenz.

Mit dem Schreiben versuchen die Bischöfe, einen Diskussionsbeitrag zu den jetzt anstehenden Fragen zu leisten, ohne fertige Antworten liefern zu können. Glettler: "Wir sind in den vielen Problemstellungen, die sich jetzt auftun, miteinander Suchende und Lernende. Wir brauchen jetzt alle Kompetenzen, beruflichen und menschlichen Erfahrungen, Gaben und Talente und vor allem auch Gottes Inspiration und Kraft, um für Österreich eine gute Weichenstellung für die Zukunft zu schaffen." Gottes Geist, so Glettler, bewahre in dieser Situation vor Resignation und Lähmung. In diesem Sinne seien Glaube und Spiritualität keine folkloristischen Anhängsel, sondern "systemrelevant für das Wohl der Gesellschaft."

Neuer Dialog für Österreich 

Zentrales Anliegen des Schreibens sei es, einen neuen "Dialog für Österreich" anzuregen, an dem sich möglichst viele Menschen beteiligen sollen. "Dieser Dialog muss unbedingt von der Erfahrung derer ausgehen, die am meisten unter der Krise und ihren Folgen zu leiden haben: Arbeitslose, sozial Benachteiligte, in ihrer Existenz gefährdete Unternehmer, Familien mit zusätzlichen Belastungen, Alleinerziehende, psychisch Kranke, Pflegebedürftige". Dieser Dialog für Österreich müsse zu einem Solidaritätspakt werden, in dem neben aktuellen Hilfestellungen auch die zukünftige Verteilung von Arbeit und Sicherung von Lebensunterhalt neu ausverhandelt wird", meinte Glettler.

Gaben des Geistes 

Sturkturiert wird der Text durch die Nennung von Geistesgaben, die jeweils paarweise genannt werden: Dankbarkeit und Demut, Verbundenheit und Versöhnung, Aufmerksamkeit und Solidarität, Wertschätzung und Lernbereitschaft, Achtsamkeit und Entschlossenheit, Lebensfreude und Geduld, Vertrauen und Zuversicht. Der Text geht jeweils von einer Krisenerfahrung in der Corona-Zeit aus und entfaltet das Wirken des schöpferischen Geistes Gottes mit möglichen Konsequenzen für das gesellschaftliche Zusammenleben. Als Themen nennt Bischof Glettler unter anderem: Grundeinkommen, Stärkung der Kultur des Sonntags, Vorrang für regionale Wirtschaftskreisläufe, nachhaltige Investitionen, psychosoziale Versorgung und vor allem auch die grenzüberschreitende Solidarität. Glettler: "Wir plädieren dafür, die Flüchtlingslager an den Grenzen Europas zu entlasten und auch in Österreich ein faires Kontingent von Asylsuchenden aufzunehmen."

Soier: Werkzeuge, um die Zukunft zu meistern 

Die Umweltbeauftragte der Diözese Innsbruck, Daniela Soier, sieht im Schreiben der Bischöfe und in der Enzyklika des Papstes "keine endgültigen Vorschläge für Krisenzeiten, sondern Werkzeuge, um sie zukunftsfähig zu meistern". Ein besonderes Anliegen der Bischöfe entdeckt sie in der "europäischen Dimension der Verbundenheit und der Sicherung des Friedens", die in die erneuerte Normalität mitgenommen werden müssen.

Anegg: Kunst der Wertschätzung 

"Als SeelsorgerInnen dürfen wir täglich zum Ausdruck bringen, wie wertvoll ein jeder Mensche ist", sagte Hildegard Anegg von der Krankenhausseelsorge. Es sei, wie das Hirtenwort sagt, eine "Kunst, die wir lernen können, wenn wir es wollen", in der Krankenhausseelsorge ebenso wie im Alltag. Das Nebeneinander von Geburt und Tod, Hoffnung und Verzweiflung, Gelingen und Ohnmacht sei in einem Krankenhaus allgegenwärtig, so Anegg. "Das macht demütig, wirklich mutig, dem zu dienen, sich für das einzusetzen, was dem Leben dient". In diesem Miteinander "leisten wir als kirchlich gesendete Frauen und Männer unseren Beitrag mit Freude und mit ganzem Herzen". 

Schärmer: Neue Aufmerksamkeit für drei Schauplätze 

Für Caritasdirektor Georg Schärmer haben sich durch die Corona-Krise drei Schauplätze geoffenbart, die in Zukunft deutlich mehr Aufmerksamkeit erfordern werden. So bilde "das Pflegesystem die Achillesferse unserer Gesellschaft. Reißt diese, gehen wir als Ganzes in die Knie". "Die nachhaltige Sicherung der Pflege, Betreuung und Begleitung von alten und behinderten Menschen muss Staatsziel Nummer eins werden", so Schärmer. Er fordert unter anderem ein ressortübergreifendes Staatssekretariat oder ein eigenes Ministerium für die Belange der Pflege. Ein zweiter Schauplatz sei das Thema Arbeit und Beschäftigung. "Ein existenzsicherndes Grundeinkommen, im Idealfall gekoppelt mit Beschäftigung und niederschwelligen Beschäftigungsprojekten vor allem für Jugendliche, sind Gebot der Stunde", so Schärmer. Und schließlich brauche es auch für die Versorgung von obdachlosen oder drogenkranken Menschen einen "Anschub, sowohl in der Infrastruktur, wie auch in der personellen Ausstattung.

 

Bischof Hermann Glettler präsentierte das Hirtenwort mit Daniela Soier, Hildegard Anegg und Georg Schärmer. Foto: Sigl