Gemeinsam für den Frieden

Vertreter von Religionsgemeinschaften trafen sich zu interreligiöser Friendeskundgebung in Innsbruck.

Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft – unter diesem Motto stand am 1. Jänner eine Friedenskundgebung führender Vertretern der Tiroler Religionsgemeinschaften und des Innsbrucker Bürgermeisters Georg Willi in der Spitalskirche – Kirche im Herzen der Stadt. 

Neben Bischof Hermann Glettler und dem evangelischen Superintendent Olivier Dantine haben der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Günter Lieder, sowie der Obmann des Islamischen Forums, Hajret Beluli, teilgenommen. Weitere Worte kamen vom Theologen Wolfgang Palaver und Bgm. Georg Willi. Die Kundgebung wurde live auf Radio Maria übertragen. 

"Kultur der Achtsamkeit"

„Die Achtsamkeit ist Voraussetzung für einen nachhaltigen Frieden. Sie macht uns bewusst, dass das Leben ein Geschenk ist und dass wir eingebettet sind in ein Umfeld mit der Natur, mit der Umwelt und anderen Menschen“, sagte Bischof Glettler. Und weiter: „Arbeiten wir an dieser Kultur der Achtsamkeit, und sie wird uns einen Frieden ermöglichen, der über den kleinen Tellerrand unseres Lebens weit hinaus reicht.“ 

 

Sichere Festung Europa: Kein Friede 

„Es gibt keinen Frieden mit Sicherheit, und deshalb gibt es keinen Frieden indem wir Europa zu einer sicheren Festung machen“, wies der evangelische Superintendent Olivier Dantine auf die Situation an den europäischen Außengrenzen. „Wenn mich jemand fragt, wo das Christuskind zu finden ist, dann in Kara Tepe!“, erinnerte er an die Situation der Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos.

Beitrag für Frieden leisten

Der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi mahnte einen Friedensbetrag Europas ein: „Europa erlebt eine jahrzehntelange Friedenszeit. Dafür müssen wir sehr dankbar sein und müssen unseren Beitrag für den Frieden in der Welt leisten und dort helfen, wo Menschen im Krieg leben, mit aller Not, die wir erleben."

 

Über den Weltfriedenstag 

Seit 1968 begeht die katholische Kirche weltweit den Weltfriedenstag am 1. Jänner, dem Hochfest der Gottesmutter. Seit längerer Zeit organisiert die Gemeinschaft Sant’Egidio zumeist ökumenische Gottesdienste zu diesem Termin, in den vergangenen beiden Jahren in der Innsbrucker Spitalskirche – Kirche im Herzen der Stadt. Für den aktuellen Weltfriedenstag wurde aufgrund der allgemeinen Situation und in Anbetracht der Anschläge der jüngeren Vergangenheit ein gemeinsamer Auftritt verschiedener Gemeinschaften umgesetzt. 

Die ökumenische Initiative wird von der Gemeinschaft Sant‘Egidio, Pax Christi, der Fokolarbewegung, den Steyler Missionsschwestern, der Diözese Innsbruck und der Evangelischen Kirche in Salzburg und Tirol getragen.

Der Friede

Impuls von Bischof Hermann Glettler zum Weltfriedenstag am 1. Jänner 2021 „Kultur der Achtsamkeit“ – ausgehend vom Impuls von Papst Franziskus

Nur eine „Kultur der Achtsamkeit“ kann die Voraussetzungen für einen anhaltenden und nachhaltigen Frieden schaffen (Papst Franziskus). Achtsamkeit drängt uns zu aller erst anzuerkennen, dass wir unser Leben Gott verdanken. Die Grundlage allen Seins ist Gottes Leidenschaft für das Leben – und seine ununterbrochene Zuwendung zum Menschen. Jesus, dessen Geburtsfest wir soeben gefeiert haben, ist die Achtsamkeit Gottes in Person – sein Umgang mit Menschen, seine Wahrnehmung von Unheil und Sünde, seine vergebende und heilende Gegenwart bis heute.

Achtsamkeit entlastet: Wer achtsam zu leben beginnt, wird bald zu einer Kritik der überzogenen Ansprüche und Forderungen einer verwöhnten Wohlstandsgesellschaft kommen. Die Corona-Krise hat uns gelehrt, dass wir mit Weniger auskommen können – eine persönliche und systemische Entlastung wäre die Folge. Bescheidener, einfacher leben! Wir brauchen weniger als wir denken! Hingegen brauchen wir mehr Interesse füreinander, größere Achtsamkeit für unsere Nächsten.

Alles hängt mit allem zusammen: Achtsamkeit ist wie ein Radar, der das Ganze wahrnimmt – das Zusammenspiel von Mensch und Umwelt, unsere Beziehung zur Natur und Mitwelt. Wir dürfen unseren Globus nicht in die finale Erschöpfung treiben. Gott hat uns die Sorge für seine Schöpfung anvertraut – „kultivieren“ in den Versen der Schöpfungserzählung meint sicher nicht beherrschen und ausbeuten. Im „Rosenkranz der Achtsamkeit“ lautet das zweite Gesätzchen: Jesus, der die Tränen aller Geschöpfe weint.

Achtsamkeit ist Hygiene im eigenen Herzen: Ohne Klärung, Läuterung, Unterscheidung der Geister, d.h. der inneren Antriebe, Reinigung von falschen Vorstellungen gibt es keine Friedenskraft, die positiv nach außen wirkt. Vorsicht vor falscher Ungeduld, Aggression und Gewaltbereitschaft, wenn es um das Durchsetzen der eigenen Pläne geht. Aber sehr wohl Ungeduld, wenn es um ein Plus an Lebenschancen, Gerechtigkeit und Teilnahmemöglichkeit von allen an der Gestaltung unserer Gesellschaft geht.

„Darf ich endlich ganz Ich sein?!“ Ausdruck der Not eines Menschen in einem Pflegeheim. Achtsamkeit ist die Wahrnehmung des einzelnen Menschen in seiner Individualität, seiner Sehnsucht und seiner Not. Und zugleich verpflichtet die Achtsamkeit auf das Gemeinwohl, das immer in einer inneren Korrelation zu den Freiheitsrechten des Einzelnen steht. Die „Grammatik“ der Achtsamkeit liefern uns – nach Papst Franziskus – die Prinzipien der Kath. Soziallehre: Förderung der Würde jeder menschlichen Person; Solidarität mit den Armen und Schutzlosen; Subsidiarität und Bewahrung der Schöpfung.

Überlebenskampf in kalten und feuchten Zelten: Achtsamkeit erhöht die Sensibilität gegenüber denen, die sich im Leben schwer tun. Ein achtsamer Mensch „zeigt Schwäche“, er lässt sich verwunden von der Not der Zeit. Unser Kontinent Europa braucht mehr Achtsamkeit für jene, die ihre Heimat verlassen mussten und auf den griechischen Inseln oder auf der Balkanroute jetzt in Elendsquartieren hausen. Wer achtsam zu leben versucht, kann nicht wegschauen, wenn menschliche Würde verletzt wird, wenn Menschen für eine Politik der Abschreckung missbraucht werden.

Friede Gottes ist eine Befähigung zur Hingabe: Der Friede, den Gott schenkt, ist kein fertiges Gut, das sich anfordern und konsumieren lässt. „Herzkraft und Handwerk“ zur Friedensstiftung resultieren aus einer achtsamen Lebensweise, geführt und getragen vom „Heiligen Geist der Achtsamkeit“, den Gott großzügig in unsere Herzen ausgießt, wenn wir ihn darum bitten.