Dreierkommission Martinsbühel legt zweiten Zwischenbericht vor

Große Resonanz bei ZeitzeugInnenaufruf: 60 Personen zu den kirchlichen Heimen in Tirol nach 1945 interviewt
Lokalaugenschein in Martinsbühel mit einer dort als Kind bzw. Jugendliche untergebrachten Frau
Abschlussbericht der Kommission wird Vorschläge zu strukturellen Rahmenbedingungen der Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen sowie Überlegungen für eine angemessene Erinnerungskultur beinhalten

Nachdem die „Dreierkommission Martinsbühel“ im März 2019 ihre Arbeit aufgenommen hat, liegt nun ein weiterer Zwischenbericht vor. Im Zuge des ersten Zwischenberichts wurde der Bedarf für eine Untersuchung aller konfessionellen Einrichtungen zur Heimunterbringung festgestellt, die nun in die Arbeit miteinbezogen wurden. „Im Rahmen des daraus entstandenen Forschungsprojekts zu den kirchlichen Heimen in Tirol nach 1945, das von der Dreierkommission begleitet wird, wurden die Heime Martinsbühel, Scharnitz, das Josefinum/Volders, die Bubenburg/Fügen, St. Josef/Mils, Thurnfeld/Hall und das Elisabethinum/Axams untersucht. Dabei wird auch auf die von einigen Einrichtungen bereits selbst in Auftrag gegebenen Forschungsarbeiten zurückgegriffen“, berichtet Kommissionsvorsitzende Margret Aull.

Nach einem öffentlichen Aufruf, der von den projektverantwortlichen ZeithistorikerInnen Ina Friedmann (Wissenschaftsbüro Innsbruck) und Friedrich Stepanek (Universität Innsbruck) initiiert wurde, konnten bisher über 60 Personen interviewt werden. Sie lebten entweder als Kinder bzw. Jugendliche in diesen Einrichtungen oder haben sich als ZeitzeugInnen gemeldet, weil sie dort gearbeitet hatten oder in anderer Weise Auskunft geben konnten und wollten. „Diese große Resonanz war völlig unerwartet und macht deutlich, welch große Bedeutung diese Aufarbeitung gerade auch für die Betroffenen hat“, betonen Friedmann und Stepanek.

 

Lokalaugenschein in Martinsbühel 

Im Herbst 2020 besuchten die Mitglieder der Kommission gemeinsam mit den beiden ForscherInnen Friedmann und Stepanek sowie Erzabt Korbinian von der Erzabtei St. Peter in Salzburg Martinsbühel. Dabei wurden sie von einer dort als Kind bzw. Jugendliche jahrelang untergebrachten Frau durch die Räume und das Gelände geführt. „Diese unmittelbare Vermittlung der Geschehnisse durch eine Betroffene ließ uns alle ahnen und spüren, wie die Situation für viele der Mädchen vor Ort gewesen sein muss: abgeschieden und immer wieder unterschiedlichen Gewaltformen ausgeliefert“, fasst Aull die Eindrücke zusammen.Ein weiterer Fokus lag auf der Erhebung von relevantem Archivmaterial, was sich nicht zuletzt auch auf Grund der Corona-Einschränkungen als schwierig gestaltete. „Leider hat sich der Sammelakt ‚Allgemeine Kontrolle über Anstalten mit Pflegekindern‘ aus dem Jahr 1956, in dem sich auch Material zu Martinsbühel befand, nicht erhalten. Er ist vermutlich in den 1970er Jahren durch die aktenführende Stelle als nicht archivwürdig skartiert worden und gelang daher nicht in das Tiroler Landesarchiv“, bedauert Aull. „Dies erschwert den Einblick in inner- und interbehördliche Prozesse und damit die Recherche zu strukturellen Gegebenheiten und Verantwortungen in dieser Zeit.“ Auch die Zusammenarbeit mit den damals zuständigen Benediktinerinnen, die aktuell im Kloster in Sarnen/Schweiz leben, gestaltete sich laut Dreierkommission bedauerlicherweise als sehr schwierig. Abgesehen davon könne von einer konstruktiven Zusammenarbeit mit allen – konfessionellen wie öffentlichen – Stellen berichtet werden.

 

Nächste Schritte 

Nun geht es darum, das erhobene Datenmaterial auszuwerten. Die beiden HistorikerInnen werden einen entsprechenden Bericht nach Abschluss dieses Prozesses im Sommer vorlegen.„Auch die Kommission wird einen Abschlussbericht erarbeiten, der aufbauend auf den Erkenntnissen auch Vorschläge zu strukturellen Rahmenbedingungen der Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen beinhalten wird. Zudem werden Vorschläge und Überlegungen für eine angemessene Erinnerungskultur erarbeitet“, kündigt Aull abschließend an. Die Dreierkommission besteht aus Vorsitzender Dr.in Margret Aull (Erziehungswissenschaftlerin, Psychotherapeutin und Supervisorin), HRin Mag.a Elisabeth Harasser (Kinder- und Jugendanwältin bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft Tirol), Sr. Judit Nötstaller (SSND School Sisters of Notre Dame), Univ.-Prof. Mag. Dr. Dirk Rupnow (Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck und Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Innsbruck) und Univ.-Prof. FH-Prof. Mag. Dr. Franz Pegger (Rechtsanwalt).