Die Netze wieder auswerfen

Predigt von Bischof Hermann Glettler am 26. April 2020, 3. Ostersonntag, mit Gedenken an Petrus Canisius, Radioübertragung aus dem Bischofshaus in Innsbruck

Wir hängen viel im Netz. Wir sind vernetzt und vernetzen. Soziale Netzwerke sind die ganz selbstverständliche Form rascher Kommunikation – viel Positives und viel Entbehrliches taucht im Netz auf. Das heutige Osterevangelium berichtet von den Netzwerkern aus Galiläa. Ihre Erfahrung sind leere und volle Netze. Ich möchte heute auch ein wenig von Petrus Canisius sprechen. Er ist seit seit 1964 Patron unserer Diözese – ein ganz besonderer Netzwerker der Frohen Botschaft.

1. Mitten in der Enttäuschung Gott begegnen 

„Ich gehe fischen.“ Ein resignierter, rundum enttäuschter Petrus kehrt in sein ursprüngliches Geschäft zurück.  Eine ganz eigenartige Atmosphäre von Trauer und Frustration liegt in der Luft. Einige Kollegen, ebenfalls Jünger des hingerichteten Meisters ziehen mit. Sie hatten keine Alternative. Sie waren Fischer und kehren in die „alte Normalität“ zurück. Noch nichts zu spüren von einer „neuen Normalität“. Aber: „In dieser Nacht fingen sie nichts.“ Trotz ihrer Erfahrung und Professionalität gab es am Morgen nur leere Netze, keinen Ertrag der nächtlichen Mühe. Alles war „für die Fisch“. Wer kennt diese tristen Momente von Enttäuschung nicht? In der aktuellen Krise bedrängend für viele – für alle, die etwas aufgebaut haben und jetzt nur noch leere Netze sehen. Viel Einsatz umsonst. In dieser Situation steht plötzlich Jesus am Ufer, aber sie erkennen ihn nicht.

„Meine Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen?“ Die Frage klingt so väterlich und ist trotzdem peinlich. Auch andere Kunden werden bald zum Ufer kommen, um Fische zu kaufen. Mit großen Erwartungen. Frust und beleidigende Kommentare sind vorprogrammiert. Ehrlich genug antworten sie dem Fremden: „Nein, nichts.“ Warum diese peinliche Frage? Jesus hat ja gesehen, dass alles runtergefahren ist und die Netze leer sind. Ich glaube er will, dass wir unsere Enttäuschung benennen. Sie nicht verdrängen. Er selbst ist einfach da – und hört uns an. Ohne Vorwurf. Nur sein Dasein, Hinschauen und Nachfragen machen schon Mut, anzunehmen was ist und nicht davonzulaufen. Gott hält uns, hält mich aus – auch dann, wenn ich nichts zu bieten habe. Das Anerkennen dieser Armut kann zum Segen werden. Sie nicht hyperaktiv überspielen oder vertuschen, sondern: Mitten in der Enttäuschung Gott begegnen!

Unser Diözesanpatron kannte beides – Erfolg und Enttäuschung. Ab 1552 predigte Petrus Canisius in Wien, anfangs vor ein paar alten Frauen, aber mit der Zeit ganz erfolgreich am kaiserlichen Hof, später auch in Prag und ab 1571 in Innsbruck. Trotzdem erlitt er viele Rückschläge und Verleumdungen. Durch seinen Nachfolger als Provinzial, der ihn überall anschwärzte, wurde er von den Orten seines Erfolgs (Höfe, Universitäten) abberufen und nach Fribourg, an den Rand der oberdeutschen Provinz versetzt. Enttäuscht alles hingeworfen? Nein, genau dort hat er die längst notwendige Reform der katholischen Kirche mitgestaltet. Petrus Canisius war von einer tiefen Jesus-Beziehung geprägt. Sie ist in den Momenten von Enttäuschung gewachsen. Es war eine Herzens-Verbundenheit. Er war überzeugt, dass man in jedem Moment, vor allem im Scheitern und in der Enttäuschung Gott begegnen kann. Gott weiß, was er uns zumutet. Das Evangelium geht weiter.

2. Sich aus der Krise „herausinvestieren“ 

Der immer noch Unbekannte fordert die Jünger auf: „Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas finden.“ Eine befremdliche Aufforderung. Alle, die vom Fischfang etwas verstehen, wissen, dass bei Tag zu fischen ein Unsinn ist. Eine fast freche Zumutung. Im biblischen Text findet sich jedoch kein Einwand seitens der Profis. Der Auferstandene hatte eine geheimnisvolle Autorität. Die Jünger ließen sich auf sein Wort ein. So beginnt der Glaube. Es ist ein Wagnis, ein Risiko. Glaube ist der Versuch einer Antwort auf einen leisen, aber oft nicht weniger deutlichen Anruf Gottes: Komm, fahr wieder hinaus! Steh auf! Hab Mut!

Von unserem Vizekanzler haben wir in letzter Zeit mehrmals den Ausdruck gehört: Wir müssen uns aus der Krise „herausinvestieren“. Ein starkes Wort, ich meine auch mit einer spirituellen Bedeutung. Klar ist: In Phasen wirtschaftlicher Stagnation braucht es neue Investitionsimpulse, um etwas in die Gänge zu bringen. Aber auch für unser Menschsein gilt Ähnliches: In Phasen innerer Trockenheit und Trostlosigkeit braucht es einen kleinen Schritt des Glaubens, um sich „heraus zu investieren“. Sonst bleibt nur die traurige Alternative – sich gehen zu lassen oder für das eigene Unglück Schuldige zu suchen. Wir haben in den letzten Wochen mehr glückliche und zufriedene Menschen erlebt, weil sie zuerst bei den Nachbarn nachgefragt haben, wie´s geht und ob sie etwas brauchen. Sie haben sich aus dem Kreisen um ihre eigene Befindlichkeit herausinvestiert. Als Petrus hörte, dass der Fremde Jesus sei, sprang er sogar in den See – auch eine Form, sich selbst zu investieren. Ja, Spaß beiseite, es braucht Menschen, die „sich hineinwerfen“, weil sie wissen, dass sie gebraucht werden.

Übrigens: Der Ordensgründer Ignatius von Loyola hat Petrus Canisius 1549, also drei Jahre nach seiner Priesterweihe nach Deutschland geschickt. Das war nichts anderes als eine massive Zumutung in eine Krise hinein - die Krise des katholischen Deutschland, das völlig am Ende war und wo man mit dem totalen Zusammenbruch innerhalb kürzester Zeit rechnete. Hier „investierte“ und verbraucht er sich über viele Jahre hinweg bei Fürsten, Königen, Kaisern, Stadträten, Studenten, Schülern, Gefangenen, Kranken usw.. Innerlich wird er wohl oft gemeint haben, es sei alles sinnlos. Doch Petrus Canisius wurde zum Geburtshelfer einer neuen lebendigen Kirche in Deutschland - völlig unerwartet. Der deutsche Katholizismus verdankt sein Überleben keiner Einzelperson in dieser Zeit mehr als ihm. Auch bei uns in Tirol gibt es viele Spuren seiner „Investitionen“. Wir werden uns im nächsten Jahr seines 500. Geburtstages (1521-2021) an ihnen orientieren und uns zeitgemäß „herausinvestieren“.

3. Glaube wächst in Gemeinschaft 

Der Jünger, den Jesus liebte sagte zu Petrus: „Es ist der Herr!“ Allein hätte er es nicht gewusst. Wir brauchen einander. Wir oft wurde dies in letzter Zeit mit einem fast beschwörenden Ton gesagt. Aber es stimmt. Niemand hat von sich aus einen starken Glauben und ein belastbares Vertrauen. Beides wurde uns geschenkt, weil jemand zu uns gesagt hat: Schau! Ich glaube an Dich! Da ist doch eine Spur Gottes in deinem Leben! Auch der überwältigende Fischfang war für Petrus noch kein ausreichender Hinweis, dass Gott seine Hände im Spiel hatte. Wer glaubt, rechnet mit den größeren Möglichkeiten Gottes. Ja, wir brauchen einander – auch ich als Bischof bin vom Glauben und von der Liebe vieler Menschen getragen. Die Jünger mussten einander ebenso helfen, den vollen Fang von 153 Fischen einzubringen. Eine geheimnisvolle Zahl, die für alle damals bekannten Völker steht. Sie ermutigt uns, großzügig den Schatz des Glaubens mit allen zu teilen – Netzwerker im Auftrag Jesu.

Das Motto von Petrus Canisius, das er sich 17-jährig schon in sein Schulheft hineingeschrieben hat, lautete: PERSEVERA! Halte durch, sei beharrlich! Mit dieser Haltung war er nicht nur dem göttlichen Geheimnis auf der Spur, sondern hatte auch die nötige Resilienz, um in Zeiten des Erfolgs und der Enttäuschungen auf Gottes Vorsehung zu vertrauen. Petrus Canisius hat immer wieder die Netze ausgeworfen – mit neuen Kollegien, neuen Schulen, neuen Kontakten –  auch wenn vieles nicht in der Weise realisiert werden konnte, wie er es sich erträumt hat. Übrigens: Die Stimme Jesu hörte er meist in den Stimmen seiner Vorgesetzten. Petrus Canisius war eher ein in sich versunkener Charakter und brauchte den Impuls von außen –  damit traute er sich aber praktisch alles zu: Verfasste theologische Spekulationen, historische Arbeiten, investierte in den Predigtdienst, hielt Unterricht, schrieb mehrere Katechismen, reiste durch Europa und war mit unzähligen Menschen im Briefkontakt. Ein echter Netze-Auswerfer! Versuchen wir es auch – auf das Wort Jesu hin!

Bild: Bernhard Aichner