Der verlässliche Anwalt

Predigt von Bischof Hermann Glettler beim Radiogottesdienst am 17. Mai. Im Mittelpunkt der Feier stand die Seelsorge in Altenheimen und im Krankenhaus. Im Bischofshaus mitgefeiert haben u.a. die Leiterin der Klinikseelsorge, Hildegard Anegg, und der Leiter der Altenpastoral, Rudolf Wiesmann.

Die Predigt des Bischofs im Wortlaut:

Schwäche erleben, Ohnmacht, Nichts-Tun können, jemandem zur Last fallen, nur mehr ein Pflegefall sein. Sie wissen, wovon ich spreche. Unzählige Personen und Begegnungen fallen uns ein. Hilfe ist gefragt. Es braucht Ärzte und Ärztinnen, Pflegepersonen, SeelsorgerInnen und viele Menschen, die einfach da sind. Bin froh, dass wir heute den Leiter der Altenpastoral in der Diözese Innsbruck, Rudolf Wiesmann und die Leiterin der Krankenhausseelsorge in Tirol, Dr. Hildegard Anegg bei uns haben. Sie wissen, was Menschen brauchen – beste medizinische Versorgung und Pflege, aber auch noch etwas anderes, was die Seele stärkt und den ganzen Menschen aufrichtet. Gerade jetzt in der zweiten Phase der Corona-Krise werden viele psychische Folgeerkrankungen bekannt, die durch die Isolation von Alten und Kranken ausgelöst oder zumindest verstärkt wurden. Seelsorge ist jetzt mehr gefragt denn je – Dasein in Ohnmacht, Nähe bekunden – und oft „nur“ ein Wort.

1.     Das kraftvolle Wort 

Zugegeben: Ich bin ein wenig allergisch, wenn zu viele fromme Worte daherkommen, oft gut gemeint, aber gelegentlich oberflächlich, nur eine Emotion verstärkend. Aber: Wenn ein Wort trifft, ein Spruch, ein Satz zu Herzen geht, wenn man spürt, dass es nicht nur so dahingesagt ist, sondern in diesem Moment „von Gott kommt“ – ja dann geht plötzlich ein Licht auf, dann können Tränen fließen, dann kehrt der Lebenswille zurück, dann spricht Gott den Menschen an! Welch eine Freude! So kraftvoll wirkt das Wort Gottes. So hat es in Samaria eingeschlagen. Es heißt in der Apostelgeschichte: „Die Menge achtete einmütig auf die Worte des (frisch erwählten geweihten Diakons) Pilippus. Sie hörten zu“. Gegenteilig in Jerusalem, in der heiligen Stadt mit der eifrigen Religiosität hörte niemand zu, für das Neue der Botschaft Jesu hat niemand seine Ohrwaschel gerührt. Aber dort, im scheinbar gottlosen Samaria mit den heidnischen Tempelanlagen, dort „folgten die Leute den Worten und sahen auch Zeichen“: Unreine Geister verlassen Menschen; Gelähmte und Verkrüppelte werden geheilt. Worte wirklicher Froh-Botschaft schaffen eine neue Wirklichkeit – befreiend, heilsam, plötzlicher Durchbruch zu einer bislang unbekannten Freiheit.

Manchmal kann dieses eine, belebende, rettende Wort auch ganz zufällig daherkommen. Ich darf dies mit einer humorvollen Episode illustrieren: Ein Pfarrer las als Predigt meist zu lange und komplizierte Texte vor. Beim Umblättern machte er einmal den Kommentar: So, jetzt fängt ein neues Kapitel an! Dann ging es gleich mühsam weiter. Nach der Predigt bedankte sich ein Herr beim ihm für das wichtige Wort. Der Pfarrer war gerührt und stolz, dass seine komplizierten Ausführungen also doch jemanden erreichten, und fragte: Was genau hat sie angesprochen? Und der Mann sagte, dass es die Bemerkung fürs Umblättern war: Jetzt fängt ein neues Kapitel an!Der Pfarrer war etwas enttäuscht, aber dann doch erfreut, als er hörte: Wissen sie, in meinem Leben hat sich so viel Mist aufgestaut, und in dem Moment, als sie das mit dem Umblättern sagten, wusste ich, was zu tun ist. Mit der Hilfe Gottes fang ich jetzt ein neues Kapitel an. Ja, so punktgenau kann Gottes Wort sein!

2.     Das bewegende Bild 

Ich möchte Ihnen heute zusätzlich zu den Worten auch ein Bild „zeigen“. Es stammt von einem barocken Meister aus dem 18. Jhdt.. Es befindet sich genau hier, in der ehemaligen Kapelle des Bischofshauses, ca. 180 mal 60 cm groß. Man sieht einen jugendlichen, weiß gekleideten Menschen, wirkt männlich und weiblich zugleich, der auf den Betrachter mit offenen, nach vorne gestreckten Armen zuläuft – herrliche Bewegung, sehr ansprechendes Gesicht und 7 Flammen strahlenförmig rund um seinen Kopf angebracht. Ein bewegtes und bewegendes Bild. Durch die sieben Feuerflammen ist es ikonographisch klar – eine Darstellung des Heiligen Geistes. Jugendlich läuft er auf uns zu. Das ist Gottes Art, er läuft uns Menschen entgegen – ohne Maske und Abstandsregel, er will unsere Herzen erobern und mit uns sein! Die dynamische Darstellung spielt an auf das Hohelied der Liebe, eine Dichtung, die ins Alte Testament Eingang gefunden hat. Dort wird in lyrischer Sprache geschildert, wie die Geliebte auf das Kommen ihres Geliebten sehnsuchtsvoll wartet. Als sie ihn hört, sagt sie: „Horch! Mein Geliebter! Sieh da, er kommt. Er springt über die Berge.“ (Hld 2,8) 

Diese wunderschöne Liebesdichtung spricht nicht nur über die aufregende Nähe, die sich zwischen zwei Liebenden anbahnt, sie meint auch die ganz persönliche Liebe, mit der Gott uns aufsucht. Er ist verliebt in jeden Menschen. Haben Sie das gehört? Gott ist verliebt in jeden Menschen – auch in denjenigen, den wir vielleicht gar nicht so liebenswert finden. Gott liebt unfassbar großherzig. In Samaria wussten sie gar nicht, dass es einen Hl. Geist gibt. Aber als die Apostel für die Leute beteten, wurde sie mit einer neuen Kraft erfüllt. Ja, das passiert –  auch heute. Setzen wir auf die Zusage des Evangeliums: „Ich lasse Euch nicht als Waisen zurück!“ Gerade jetzt in der zweiten Phase der Corona-Krise bricht viel Ärger und Frust durch. Unterschiedlichste Empörungen werden immer aggressiver formuliert, Enttäuschungen und Erwartungen – berechtigt und überzogen. Viele fühlen sich wie „zurückgelassene Waisen“, übersehen, vergessen und zu wenig unterstützt. In dieser Phase ist ein Neuer Geist vonnöten! Ein Geist der Geduld, der Fürsorge und der Einheit. 

3.     Der verlässliche Geist 

Jesus sagt, dass er seinen Vater bitten wird, uns den Geist als Beistand zu senden. Er wird als Paraklet bezeichnet, als Herbeigerufener, als der Zu-Hilfe-Gerufene, als Fürsprecher und Anwalt. Mit dem Hl. Geist stellt sich Gott selbst an die Seite des Menschen. Wir wissen, wie wichtig es ist, in einem Rechtsstreit einen Anwalt zu haben. Erstens sind wir als Laien meist schon mit der einfachsten Rechtsmaterie überfordert und zweitens mangelt es uns an der entsprechenden Rhetorik, den Sachverhalt in eine überzeugende Argumentation zu bringen. Juristen und Rechtsanwälte haben ja auch einen Pflegedienst inne – sie pflegen das Recht für jene, die dies selbst nicht vermögen. Leider erleben wir, dass das Geschäft mit dem Rechtsstreit nicht immer nur zugunsten von Recht und Gerechtigkeit ausgehandelt wird. In jedem Fall schenkt der Hl. Geist in der Hitze der Auseinandersetzungen Klarheit und mischt sich mit seiner Friedenskraft ein – wenn wir ihn bitten.

Der Hl. Geist ist mir Vorliebe der Beistand und Rechtsanwalt der Armen und Geschwächten. Der Geist Jesu tritt ganz besonders ein für alle Überforderten und Vernachlässigten. Ich glaube, es erübrigt sich zu sagen, dass dieser Anwalt nicht die Wahrheit verdreht oder so ausreizt, dass man schon von einer Lüge sprechen muss. Als ursprünglichster Anwalt der Wahrheit verteidigt uns der Heilige Geist nicht blind. Er hilft vielmehr, anzunehmen was in unserem Leben Sache ist – oft ganz verworren und kompliziert. Und er hilft, wenn nötig, auch Versagen einzugestehen und Unangenehmes nicht zu verdrängen. Der Hl. Geist macht Versöhnung möglich. Derselbe Geist tröstet alle, die zu Unrecht angeklagt oder sogar verfolgt werden. Außerdem verleiht er Mut, dass jemand lautstark für die Schwachen seine Stimme erhebt oder eine vorherrschende Lüge entlarvt. Das Pfingstbild vom Geist als Anwalt brauchen wir in vielen aktuellen Debatten.

Liebe Schwestern und Brüder! Wir bereiten uns auf Pfingsten vor. Es ist das Fest von Gottes Zuvorkommen. Erinnern sie sich bitte an das Bild, das ich ihnen heute geschildert habe: Der Heilige Geist läuft jugendlich verliebt auf uns Menschen zu! Und bitte: Machen sie einen Anruf in Gottes Rechtsanwaltskanzlei, also einen Anruf des Hl. Geistes. Eine einfache Bitte genügt. Gott kommt höchstpersönlich an unsere Seite – verteidigend, tröstend: Und er macht auch uns fähig, dass wir trösten können, wo Menschen darauf warten.

 

Begleitende Texte aus dem Gottesdienst:  

Einstimmung-Einführung 

 Lebendiger GOTT, mitten unter uns,

… ich komme heute zu dir mit all der Freude, die Menschen in den Seniorenheimen und Krankenhäusern in den letzten Wochen erfahren haben: die Freude über den wiederkehrenden Frühling in unserem Land, die Freude über die kleinen Zeichen der Verbundenheit in Zeiten des Abstandhaltens voneinander: über eine Karte, einen Anruf, ein Zuwinken, ein Lächeln. Ich bringe ihre Dankbarkeit vor dich für alle, die sich um sie in denen vergangenen Wochen fürsorglich gekümmert haben. Ich bringe dir ihre Freude über die Besuche der Freunde, der Kinder und Enkel, die wieder möglich sind…

… wir sind heute hier mit unser aller Hoffnung, die unser Herz erfüllt. Du weißt von unserer Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Frieden hier und auf der ganzen Welt, du kennst unsere Sehnsucht nach Gesundheit, nach Heilung, nach Sinn und Freude in unserem Leben.

Alle unsere Hoffnung setzen wir auf dich, denn unsere Hoffnung und unsere Zuversicht bist DU, Gott

Komm in unsere Mitte, sei uns nahe!

 

Fürbitten 

Für alle kranken und pflegebedürftigen Menschen, besonders für jene, die die Nähe ihrer Lieben entbehren müssen und sich einsam und verlassen fühlen

und auch für alle, die für sie sorgen und sie unter eigenen Entbehrungen pflegen

Für alle, die mit ihrer Arbeit oder Ausbildungsstätte zugleich die Versorgungsgrundlage und eine sinnstiftende Perspektive für ihr Leben verloren haben oder dadurch existenzbedrohlich verschuldet sind

Für die Kinder und Jugendlichen, die sich danach sehnen, ihre Freunde und Freundinnen wieder zu treffen – in der Schule, beim Sport oder beim Musizieren

 Für unser aller Miteinander, dass wir Worte zueinander sprechen, die uns gut tun, dass wir uns mit Augen anschauen, unter denen wir aufleben können, dass wir miteinander liebevoll umgehen, und uns so gegenseitig stärken für die Herausforderung und Unsicherheit dieser Zeit 

Meditation nach der Kommunion 

„Herr, ich bin deiner bedürftig. So sprich ein Wort. Und meine Seele wird gesund.“

Auferstandener Christus, das Stückchen Brot, Zeichen deiner Nähe, ich entbehre es. Doch wenigstens nach einem Wort von dir sehnt sich mein ganzes Wesen. Sprich es. Das genügt mir. Und ich lebe wieder auf.