Der Tod des heiligen Martin: Ein Sommer mitten im November

Weiße Blumen sollen an der Loire gesprossen sein, als der Leichnam des Bischofs von Tours einst zurück in seine Bischofsstadt gebracht wurde - In Frankreich, wo das Martinsbrauchtum fast völlig vergessen ist, erinnert der "Weg des Martinssommers" daran.
Von Alexander Brüggemann

Normalerweise wird zur Verehrung eines Heiligen sein Todestag ausgewählt. Bei Sankt Martin liegt die Sache anders: Er starb am 8. November 397, müde und 81-jährig, während eines Pfarrbesuchs im kleinen Örtchen Candes am Loire-Ufer. Sein Fest- und Namenstag ist jedoch der 11. November.

 

Zwei der mächtigsten Bischöfe seiner Zeit, Severin von Köln und Ambrosius von Mailand, sollen an Martins Tod gleichsam direkten Anteil genommen haben: Der eine hörte buchstäblich die Engel im Himmel singen; der andere schlief mitten in der Messe ein und ärgerte sich, von den Gläubigen geweckt, dass er so nicht weiter an Martins Beisetzung habe teilnehmen können. Beide merkten sich aber Tag und Stunde und erfuhren später von der Echtheit ihrer Visionen: Der heilige Martin war tot.

 

Im Örtchen Candes - heute Candes-Saint-Martin - hatten unterdessen die Bürger von Tours auf die Herausgabe ihres Bischofs gedrängt. Doch auch dort wollte man den heiligen Mann besitzen. Am Ende entführten die Tourains ihn bei Nacht und treidelten ihn vorsichtig den Fluss hinunter. Und überall am Ufer sprossen plötzlich weiße Blüten: der "Sommer des heiligen Martin" mitten im November.

 

"Weg des Martinssommers" 

Die Rückführung des Leichnams von Candes über Langeais bis nach Tours, gut 50 Kilometer, dauerte drei Tage. Dann erst fand in Tours die Beisetzung statt. Die Tage zwischen dem 8. und dem 11. November werden auch heute wieder in einigen Ortschaften am landschaftlich sehr reizvollen "Weg des Martinssommers" von Chinon über Candes und Langeais auf 114 Kilometern bis nach Tours festlich begangen.

 

In La Chapelle-sur-Loire beispielsweise wird am 9. November symbolisch der halbe Mantel des heiligen Martin in Empfang genommen; es gibt ein gemeinsames Mahl, die "partage", im Gemeindesaal. Und am Ufer der Loire feiert man den "Sommer des heiligen Martin" - in Gestalt eines prächtigen Feuerwerks.

 

Das war lange Zeit nicht so. Das einst reiche Martinsbrauchtum in Frankreich geriet mit dem Niedergang des mittelalterlichen Pilgerwesens gänzlich in Vergessenheit - von einigen Ausnahmen abgesehen, etwa in Toulouse, in Angers, im Elsass und in Lothringen. Einen weiteren Grund für das Vergessen kann man in der Krypta der Martinsbasilika in Tours entdecken, ganz nahe beim Grab des Heiligen.

 

Bärendienst des Generals 

Dort ließ der Oberkommandierende der Westalliierten, Marschall Ferdinand Foch, eine Danktafel für den Sieg im Ersten Weltkrieg anbringen. Sie trägt das Datum der Unterzeichnung des Waffenstillstands: den 11. November 1918 - Martinstag. Experten schließen nicht aus, dass der tief katholische Südfranzose Foch den Tag der deutschen Kapitulation ganz bewusst auf Martini legte - hatte er doch wenige Wochen zuvor noch in einer Martinskirche dafür gebetet.

 

Bewusst oder unbewusst - für das Bewusstsein um den Martinstag war es ein Bärendienst. Denn bis zum Tod der letzten Weltkriegsveteranen vor einigen Jahren war der 11. November in Frankreich fortan der "Tag des Waffenstillstands".

 

"Es wäre schön, wenn eine Frucht der gewachsenen deutsch-französischen Freundschaft ein Rückimport des Martinsbrauchtums etwa aus dem Rheinland würde", meint Antoine Selosse vom Europäischen Kulturzentrum Saint Martin de Tours. Es versucht seinen Teil dazu beizutragen: mit geführten Radtouren am Martinstag, mit Fackelbasteln und Umzug, gemeinsamem Kochen - und gemeinschaftlich geteiltem Essen.

Bild: Dr. Aurelia Benedikt

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Er teilte seinen warmen Soldatenmantel mit einem Bettler. Er entsagte seinem sicheren Offiziersleben und legte sich als Sozialbischof mit Staat und Kirche an. Sankt Martin - ein beliebter Heiliger, für unsere Tage erklärt.

 

Wofür steht der heilige Martin? 

In Europa bräuchte es heute mehr von seinem Schlag: Die Not der anderen ging dem römischen Soldaten Martin (316/17-397) über seine eigene Karriere. Buchstäblich grenzüberschreitend war er und hatte den klaren Blick für den Nächsten. Ein Christ, der im entscheidenden Moment seines Lebens barmherzig war und "an die Ränder" ging. Der heilige Martin steht für Frieden und Solidarität, für mehr Aufmerksamkeit gegenüber Randgruppen. Er ist Patron der Bettler, der Geächteten und der Kriegsdienstverweigerer.

 

Warum wird der Martinstag am 11. November gefeiert? 

Normalerweise ist der Todestag eines Heiligen automatisch auch sein Namenstag im Jahreskalender. Tatsächlich aber starb der heilige Martin am 8. November während eines Pfarrbesuchs im Örtchen Candes am Loire-Ufer. Damals drängten die Bürger von Tours auf die Herausgabe ihres Bischofs - doch in Candes wollte man ihn behalten. Am Ende entführten die Tourains ihn bei Nacht und treidelten ihn den Fluss hinunter. Und überall am Ufer sprossen laut Überlieferung plötzlich weiße Blüten: der "Sommer des heiligen Martin" mitten im November! Drei Tage später, am 11., fand in Tours die Beisetzung statt.

 

Wofür steht der Martinstag (11. November) im Jahreskalender? 

Der Martinstag war traditioneller Pacht- und Zahltag; es wurde geschlachtet und viel in Naturalien gezahlt. Gänse und frische Wurst waren im Umlauf - ein Grund, warum Landarbeiter und Kinder am Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahres um die Häuser zogen, sangen, Segen wünschten und mit Naturalien belohnt wurden. Nach dem Martinstag begann die 40-tägige Fastenzeit vor Weihnachten ("Martinsquadragese"). Also wurde noch mal ordentlich hingelangt - wie noch heute an den Tagen vor Aschermittwoch. Und das, obwohl Martin selbst, der mönchische Einsiedler und Bischof, ein ausgemachter Asket war. In Frankreich gibt es sogar die Bezeichnung "Martinsschmerzen" ("mal de Saint-Martin") für Bauchweh und Kater nach einem Gelage.

 

Und wie wird das Schlachten der Martinsgans in der Legende erklärt? 

Es wird berichtet, die Bürger von Tours wollten den Einsiedler Martin als ihren Bischof haben. Unwillig, sein zurückgezogenes Leben aufzugeben, habe sich Martin im Gänsestall versteckt - wurde jedoch von den schnatternden Gänsen verraten. Diesen Verrat müssen sie bis heute teuer bezahlen.

 

Was ist aus dem halben Mantel geworden? 

Als Martin seinen Mantel mit dem Bettler teilte und damit Militäreigentum beschädigte, beging er eine Straftat, auch wenn damals nominell die Hälfte dem römischen Staat und die andere dem Soldaten selbst gehörte. Heute gilt der halbe Mantel als ein Zeichen christlicher Barmherzigkeit. Im Mittelalter wurde er von den Frankenkönigen als Glücksbringer mit in die Schlacht geführt. Später verlieren sich seine Spuren.

 

Im spätantiken Latein hieß der mantelartige Umhang "cappa". Die angebliche Cappa des heiligen Martin war eine der bedeutendsten Reliquien des Reiches. Zu seiner Bewachung wurden eigens Geistliche abgestellt, sogenannte Kapellane. Sie betreuten auch die "Kapelle", also jene Gotteshäuser, in denen die Cappa aufbewahrt wurde. Bis heute ist ein "Kaplan" ein Geistlicher für besondere Aufgaben und die "Kapelle" ein Gotteshaus ohne unmittelbare Zuweisung für die Pfarrseelsorge. Oder aber eine Gruppe von Musikanten, die ursprünglich wohl für die liturgische Gestaltung von Gottesdiensten an der "Cappa" zuständig waren.

 

Warum gab es in jüngster Zeit immer wieder Debatten um den Martinstag? 

Zuletzt entstanden teils heftige Diskussionen, wenn Kindergärten, Schulen oder Stadtverwaltungen Martinsumzüge und Martinsfeste in "Lichterfest", "Laternenumzug" oder "Sonne-Mond-und-Sterne-Feiern" umbenennen wollten. Als Grund wurde oft eine Rücksichtnahme auf Nichtchristen genannt, insbesondere auf Muslime. Kritiker sprachen von unnötiger Verweltlichung oder gar von einem "Verrat am christlichen Abendland".

 

Eine Meldung von www.kathpress.at