Bischof Glettler: Mit "Salz" des Christentums zu mehr Geschmack an Europa

Innsbrucker Bischof bei "Pfingstdialog": Müde gewordenes Europa braucht christliche Impulse zu mehr Zusammenhalt, Empathie für Schwache und nachhaltigen Lebensstil - Kritik an "engstirnigen Nationalismen" auch katholisch geprägter Staaten

"Der alte und vielfach müde gewordene Kontinent kann mit der Salzkraft des christlichen Glaubens sich selbst erneuern und für das gemeinsame Haus der Menschheit ein positives Zeugnis geben." Mit diesem Satz beendete der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler am Freitag seine Ausführungen beim diesjährigen "Pfingstdialog" zum Thema "Reset Europe" auf Schloss Seggau (Stmk.). Davor hatte er die Einladung des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors aufgegriffen, die Kirchen mögen sich an einer "intellektuellen und spirituellen Debatte über Europa" und dessen "Seele" beteiligen, die nicht allein den "Technokraten" überlassen werden dürfe. Christliche Impulse könnten in Europa mehr Zusammenhalt, Empathie für Schwache und nachhaltigen Lebensstil bewirken, so Bischof Hermanns Kernthese.

 

Der gebürtige Steirer bezog die Zusage Jesu "Ihr seid das Salz der Erde!" (Mt 5,13) auf die Situation der Christen im heute säkularisierten, durch Brexit, Fluchtbewegungen und Corona-Pandemie in die Krise geratenen Europa. In der Aussage Jesu liege ein Trost angesichts des Verlustes volkskirchlicher Größe in einer offensichtlich postkonstantinischen Ära: "Eine schöpferische Minorität kann zum Segen für viele werden", betonte der Bischof. So wie Salz den Eigengeschmack von Speisen verstärke bzw. "herauskitzelt", so könnten auch Christinnen und Christen im Sinn des Evangeliums an der Gesellschaft mitbauen. "Wo auch immer sie sich in Europa wiederfinden - ob in einer urbanen oder alpenländischen Diaspora - die zahlenmäßige Größe allein ist nicht entscheidend."

 

"Europa" steht laut Bischof Hermann für eine "Erfolgsgeschichte". Auch wenn sein "Geschmack schal geworden und die Vision verblasst zu sein scheint", Grundsätze wie Frieden, Demokratie, Solidarität und Freiheit seien keineswegs obsolet, sondern im Gegenteil "fortwährender Auftrag, das Jahrtausendprojekt der europäischen Einigung fortzusetzen". Als "temporäre Geschmacksverderber" kritisierte der Innsbrucker Bischof populistische Befürworter von engstirnigen Nationalismen, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung. Ihnen erteilte der Bischof "eine klare Absage" - auch wenn dies "gewisse, traditionell katholische Staaten" betreffe.

 

Lebenswelt im Geiste Jesu mitgestalten
Von Christen erwartet Bischof Hermann die grundsätzliche Bereitschaft, Arbeitswelt und Politik, Soziales, Bildung, Wissenschaft und Kultur im Geiste Jesu mitzugestalten. Die Kirche werde ihre "Würz-Kraft" behalten, wenn sie sich dabei möglichst ohne Berührungsangst dem offenen Diskurs in einer institutionskritischen, aber religiös-fragenden Öffentlichkeit stellt. "Evangelisierung im weitesten Sinn" meine das Engagement für eine menschenwürdige und vielseitig achtsame Lebenskultur. 

 

Zusammenhalt ist nach den Worten des Bischofs einer der Bereiche, in denen Christen "Salz" sein könnten. Er erinnerte an die Enzyklika "Fratelli tutti", in der Papst Franziskus eindringlich vom Aufbau einer "globalen Geschwisterlichkeit" sprach. "Je stärker sich ein einzelner Mensch seelisch, d. h. ganzheitlich bei Gott beheimatet fühlt, umso größer ist sein Beitrag zur Belastbarkeit und Krisenfestigkeit von einem größeren Wir", so Bischof Hermann. Alle rein individualistischen Ansätze im Sinne von "Rette sich, wer kann!" würden letztlich den gesamten Organismus schwächen.

 

"Mehr Europa" in Flüchtlingsthematik
"Mehr - und nicht weniger - Europa" braucht es nach der Überzeugung Bischof Hermanns, der im Vorjahr selbst nach Lesbos reiste, angesichts der herausfordernden Flüchtlingsthematik. Es sei inakzeptabel, die südlichen Staaten Europas mit der Last der Integration der nach Europa Geflüchteten größtenteils allein zu lassen. Dass Europas Herz für Asylsuchende "durch Stacheldrahtzäune, Zurückweisungen und Nichterfüllung beschlossener Verteilungsquoten zu versteinern droht", sei das beste Beispiel für verweigerte Solidarität mit anderen EU-Mitgliedsstaaten. Niemanden dauerhaft auf die Verliererstraße zu drängen wäre nach den Worten des Bischofs "ein nachhaltiges Programm, um dem drohenden Geschmacksverlust an Europa entgegenzutreten". 

 

Generell sei die "prophetische Anwaltschaft für die Armen" einer der möglichen christlichen "Salzfaktoren" für Europa. Er zeige sich im Umgang mit jenen, die unter Marginalisierung und Diskriminierung leiden, in der Anwaltschaft für die von Gott geschenkte Würde jedes Menschen, konkret "im Ringen um selbstverständliche Rechte für Menschen mit Pflegebedarf und Behinderung, um die Wertschätzung von Care-Arbeit, um einen breiteren Konsens zum Schutz von Ungeborenen und für gesetzliche Vorgaben, die einer sich besorgniserregend rasch etablierenden Praxis der Euthanasie Einhalt gebieten".

 

"Sünde der ausbeuterischen Maßlosigkeit"
Zum Wesentlichen christlicher Existenz gehöre auch die Bereitschaft zu Umkehr und Neuorientierung, betonte Bischof Hermann. Dies sei geboten angesichts des "Wahnsinns einer permanenten Profit- und Konsummaximierung", die die Erde in eine finale Erschöpfung trieben. "Wir müssen von der Sünde der ausbeuterischen Maßlosigkeit wegkommen" und "dem ungestillten Immer-Mehr eine neue Ehrfurcht und Dankbarkeit für das Leben entgegenhalten", forderte der Bischof. Christliche Spiritualität könne für diese unabdingbaren radikalen Transformationsprozesse "Salz zur Klärung sowie Anschubhilfe und langer Atem sein". 

 

Die immer wieder beklagte zunehmende Säkularisierung ist - so der Bischof zuversichtlich - kein Hindernis für das christliche Zeugnis, "sondern ganz im Gegenteil: eine dringliche Einladung, ein für die Aussaat bereiter Acker, eine offenstehende Tür". Freilich, die Salz-Metapher Jesu berge die Zumutung von "radikaler Selbst-Investition" in sich: Die Kirche in Europa müsse der Gefahr der "Selbst-Musealisierung" widerstehen. Wenn das Salz zu lange liegt und nur aufbewahrt wird, laufe es Gefahr, schal und damit unbrauchbar zu werden, forderte Bischof Hermann "feste Entschlossenheit zu einer dialogisch-missionarischen Kommunikation in allen Lebensfeldern heutiger Gesellschaft". Kulturbildend und damit "systemrelevant" für Europa könne nur ein Christentum sein, "das jeden Rückzug in ein geschütztes, rein kirchliches Ghetto meidet".

 

Eine Meldung von www.kathpress.at

Foto: Gstaltmeyr