Bischof Glettler:

In seiner Predigt am Fest der Erscheinung des Herrn (6. Jänner) verweist Bischof Hermann Glettler auf eine besondere Ladestation für frische Energie: Das Kind von Bethlehem, das sich "heilsam und befreiend in das menschliche Beziehungsgeflecht eingeschrieben hat." Hier finden Sie die Predigt des Bischofs im Wortlaut.

Die dreikönigliche Mobilisierung hat wieder einmal funktioniert! 7000 Sternsinger, Buben und Mädchen, Jugendliche und Erwachsene waren in Tirol in den letzten Tagen unterwegs. Für die vielen Kilometer von Haus zu Haus und von Tür zu Tür danke ich Ihnen ganz herzlich. Sie sind dem Stern gefolgt, eine Leuchtspur am Himmel hat sie geführt. Nach vielen Mühen und Irrwegen haben sie den Ort der Geburt des Messias erreicht. Dort konnten sie staunen, danken und auftanken. Sie waren auf der Suche nach göttlicher Erkenntnis, nach spirituellem Wissen über das Leben und wohl auch nach göttlicher Energie – wie viele Menschen unserer Zeit. Betlehem ist für sie zur besonderen Ladestation geworden. Sie haben Energie gesucht und wurden mit einer Begegnung überrascht.

Alle suchen Energie 

Es gibt die unterschiedlichsten Ladestationen in unserem Alltag. Es sind ausgewählte Räume und besondere Plätze, „Kraftorte", die man für sich entdeckt hat und gerne aufsucht. Ein Café kann es sein, der grüne Park, ein herausfordernder Berg, ein Fitness- oder Wellnesscenter und vieles mehr. Die Liste der persönlichen Ladestationen für körperliches und ganzheitliches Wohlbefinden ließe sich unendlich lang fortsetzen. Kirchen, Kapellen und andere spirituelle Plätze gehören dazu. Menschen investieren viel Zeit und Mühe, um an die richtige Auftank-Stelle zu kommen. Hohe Motivation. Lebensenergie suchen alle. Energetiker sind gefragt. Nicht selten treibt eine Krankheit, ein schmerzlich empfundener Mangel an Lebensglück oder sozialer Bestätigung zur Energiesuche.

Heute folgen wir dem Weg der Weisen aus dem Osten. Gebildet und vermögend waren sie, Menschen der Sehnsucht nach einem Plus an Erkenntnis und göttlicher Kraft. Sie suchten den Neugeborenen König. Abgelenkt und fehlgeleitet wurden sie durch ihre vorgefasste Meinung, die sie vom Erscheinen des königlichen Messias hatten. Sie ließen sich in den Palast des Herodes verführen. Dort bemerkten sie ein Erschrecken des machthungrigen Herrschers. Auskünfte erhielten sie von Gottesgelehrten, denen offensichtlich das Wissen gereicht hat. An einer persönlichen Begegnung mit dem Messias waren sie nicht mehr interessiert. Zum Glück hatte die königliche Truppe die notwendige Restenergie, um sich aus diesem eigenartigen, von Angst besetzten Umfeld zu befreien.

Begegnung und Beziehung 

Mit den Weisen aus dem Orient sind wir nun an der Krippe angekommen. „Sie sahen das Kind und Maria und fielen nieder." Die Überraschung ist perfekt. Keine herrschaftliche Erscheinung, sondern das Gegenteil. Totale menschliche Einfachheit und Armut. Eine Begegnung findet statt und darin liegt die lange gesuchte Herzensenergie. Sie geht von Jesus aus. Er hat eine menschliche Gestalt und ein menschliches Gesicht. Er streckt uns die Arme entgegen, wie auch immer wir daherkommen, ob mit vollem Elan oder ausgepowert und mit leeren Batterien. Er meint uns persönlich. Die angestrengte und oftmals verkrampfte Suche nach neuer, unverbrauchter Energie mündet in einer gottvollen Begegnung. Nichts Künstliches, nichts abgehoben Esoterisches, sondern Erfahrung von Liebe.

Betlehem ist für die Erkenntnis- und Energiehungrigen zur spirituellen Auf-Ladestation geworden. Wirkliche Ehrfurcht ist angesagt. Die königlichen Herrschaften knieten nieder und übergaben ihre Schätze. Wer dem einzigen, wahren und lebendigen Gott begegnet, packt alles aus, was er zu bieten hat. Wer sich angenommen und geliebt weiß, möchte großzügig schenken, nicht nur etwas, sondern sich selbst. Das ist das Geheimnis von Beziehung. Durch die Menschwerdung Gottes sind wir mit dem unbeschreiblichen Urgrund allen Seins verbunden. Er hat sich heilsam und befreiend eingeschrieben in unser menschliches Beziehungsgeflecht. Er ist in sich selbst und aus sich heraus das größte Wunder von Beziehung – Liebe, die nie aufhört, sich zu schenken.

3.     Christliche E-Mobilität heute 

Aber kehren wir nochmals zur Frage nach der Energie zurück. Vom Geist Gottes – wie die drei Weisen auf einem anderen Weg nach Hause geführt – lernen wir, auf unseren Energiehaushalt zu achten. Es braucht viel Sorgfalt, die neugewonnene Energie richtig einzusetzen und sich diese auch nicht sinnlos absaugen zu lassen. Wie und wo passiert das? Unnötige Zerstreuung, Fixierung auf Mängel und Fehler, Miesmacherei und Kritiksucht, Unversöhnlichkeit u.a.. Das sind nur ein paar Beispiele, die die Antriebskraft und Freude der Seele verkümmern lassen. Was bedeutet im Gegensatz dazu eine christliche E-Mobilität? Keine Sorge, meine Predigt mutiert nicht zu einer Werbeeinschaltung für mehr E-Mobilität auf unseren Straßen, was auch gut wäre. Wofür steht das „E“ des heutigen Festes?

„Sie sahen.“ E steht für Einsicht und Erkenntnis. Wir sind nicht Marionetten höherer Schicksals-Mächte oder einer fernen Gottheit. Wir sind durch Jesus von allen Altlasten und Ängsten befreit, Kinder des himmlischen Vaters. Wenn wir dies begreifen, wird die größte Energie freigesetzt.
„Sie fielen nieder.“ E steht für Einfühlungsvermögen und Empathie. Das Geheimnis göttlichen Lebens ist immer mit einem Du verbunden, mit einem Sich-Einfühlen in die Situation des Nächsten. Sich klein machen und nicht aufblähen! Mitfühlen. Das verbraucht Herzensenergie und setzt sie zugleich frei.
„Sie brachten ihre Schätze dar.“ E steht für Engagement. Nur schönes Reden und Meditieren ist noch kein christlicher Glaube. Ein konkretes Tun gehört dazu. Oft sind es die kleinen Gesten und kleinen Dienste, die Lebensenergie aufwecken können. Großzügig teilen, was einem selbst geschenkt wurde. 

Die drei Weisen haben uns heute deutlich vor Augen geführt, dass wir mitten in unserer Gesellschaft unterwegs sind – auf der Suche nach mehr Wissen, mehr Sinn und mehr Energie. Gefeiert haben wir am Kraftort Kirche das leibhaftige „Erscheinen“ der Liebe Gottes – weit mehr als nur das Angebot einer spirituellen Energie. Wir haben Gottes Wort gehört, das uns persönlich anspricht. Wer wirklich hinhört „nimmt viel mit“, mehr als nur göttliche Info. Und in der Eucharistie empfangen wir den Leib Jesu – die höchstenergetische Nahrung für unser alltägliches Leben. Gottesdienst ist in diesem Sinn Empowerment (wieder ein E!) für Begegnung und Beziehung. In dieser spezifischen christlichen E-Mobilität liegt der Segen und Auftrag Gottes für unsere Zeit – darin eingeschlossen die Verantwortung, die wir angesichts der verheerenden Klimasituation für unser Mobilitätsverhalten insgesamt haben.

Predigt von Bischof Hermann Glettler am Hochfest der Erscheinung des Herrn (6. Jänner 2020) im Innsbrucker Dom.