Hirtenbrief zur Fastenzeit

Wortlaut des Hirtenbriefes zur Fastenzeit 2018 von Bischof Hermann Glettler.

Seit Dezember 2017 bin ich nun Bischof von Innsbruck. Ich danke allen, die mir das Ankommen in der Diözese durch ihr herzliches Willkommen und durch ihr bestärkendes Gebet erleichtert haben. Die Bischofsweihe in der Olympiahalle ist uns allen als ein „Fest des Glaubens“ geschenkt worden. Es war deutlich spürbar, dass wir eine bunte und lebendige Kirche sind und dass sich weit mehr Menschen ansprechen und bewegen lassen, als wir oft denken.

Mein besonderer Gruß und meine Ermutigung richten sich an jene, die in den letzten Jahren müde geworden sind, mit einer Enttäuschung zu kämpfen oder sich innerlich von der Kirche verabschiedet haben. Bitte sucht von neuem die persönliche Begegnung mit Christus! Er allein kennt unsere Herzen und kann uns den Geist der Versöhnung und Erneuerung schenken. Speziell erwähnen möchte ich auch die Vielen, die nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen. In unaufgeregter Weise, mit großer Geduld und Treue üben sie verschiedene Dienste im Ort, in der Nachbarschaft oder in der Pfarrgemeinde aus. Sie hüten den Grundwasserspiegel von Glaube und Menschlichkeit in unserem Land.

Anlässlich der bevorstehenden Wahlen möchte ich mit Dankbarkeit auf jene Personen hinweisen, die in unserem Land und in unseren Gemeinden politische Verantwortung übernehmen. Versuchen wir respektvoll mit der weltanschaulichen und politischen Pluralität umzugehen. Achten wir vor allem auf jene, die es in ihrem Leben schwer haben und aus eigenen Kräften ihr Leben nicht meistern können. Die Sorge um das Gemeinwohl und die aktive Mitgestaltung des Zusammenlebens sind ein Auftrag an alle Bürger und Bürgerinnen und darf nicht in der Manier von verwöhnten Konsumenten an die offizielle Politik delegiert werden. In diesem Zusammenhang möchte ich dankbar die unterschiedlichen Vereine erwähnen, die einen ganz wesentlichen Beitrag zum gelingenden Miteinander in unserem Land leisten.

Geht, heilt und verkündet! Ich versuche mit meinem ersten Hirtenbrief dieses Motto unseres gemeinsamen Aufbruchs zu vertiefen. Dankbar bin ich meinem Vorgänger Bischof Manfred Scheuer, der schon vor einigen Jahren zusammen mit den Diözesanverantwortlichen die Weichen dafür gestellt hat. Ausgangspunkt und Grundlage des „Neuen Weges“ ist immer das Wort Gottes. So hören wir heute am ersten Fastensonntag den folgenden Zuspruch: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe! Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Jetzt ist die Zeit Gottes! Die Vergangenheit zu verklären oder von einer wunderschönen Zukunft zu träumen, sind ähnlich gelagerte Versuchungen. Das „jetzt“ ist das bevorzugte Zeitwort Gottes. Jetzt können wir uns gegenseitig bestärken und aufbrechen. Es beginnt mit der Hinwendung zum lebendigen Gott. Ein neues Denken, eine neue Haltung des Herzens und eine neue Lebensweise sind notwendig.

Geht! Jesu Auftrag zum Gehen meint eine äußerliche und innerliche Beweglichkeit. Manchmal sind wir Gefangene von unnötigen Auseinandersetzungen, von uralten Konflikten oder verhärteten Standpunkten. Versöhnung befähigt zum Aufbruch. Lassen wir uns vom Geist Jesu antreiben und setzen wir den ersten Schritt! Lassen wir uns auch nicht von diffusen Ängsten lähmen. Jesus, der Herr, ist mit uns unterwegs. Wie wir heute hören, ist er in allem versucht worden. Kein menschlicher Abgrund ist ihm fremd. Die heftigste Versuchung ist es, auf sich selbst und die eigenen Befindlichkeiten fixiert zu bleiben. Das kann auch die kollektive Krankheit einer Gemeinde sein. Geht! Wenn wir diesen Auftrag ernst nehmen, braucht es in allen Gottesdiensten, in allen Veranstaltungen und kirchlichen Gruppen eine deutliche Ausrichtung auf die Menschen von heute. Lassen wir uns bitte von ihren Lebensgewohnheiten, ihren erfreulichen Erfahrungen, aber auch von ihren Sorgen und Verwundungen berühren. Wie sehr wünsche ich uns allen eine neue Freude und Neugierde für vielfältige Begegnungen. Wir werden durch sie beschenkt und verunsichert zugleich. Jesus selbst war unterwegs – in allen Dörfern und Städten des Landes, auch und besonders oft in den halbheidnischen Randgebieten, wo sich eine multikulturelle Bevölkerung befand. Geht! Manchmal braucht es dazu eine bewusste Entscheidung, weil die Kräfte der Bequemlichkeit und das scheinbare Wissen, dass es ohnehin nichts bringt, unsere Kräfte und Kreativität lähmen. Jesus hat sich mit den Jüngern auf den Weg nach Jerusalem gemacht. Das war der Ort seiner Hinrichtung und Verherrlichung. Er ist also auch in den schwierigen und belasteten Momenten mit uns unterwegs und läuft nicht davon. Dafür steht sein Sterben am Kreuz. Welch ein Trost in einer Welt, die sich oft verkrampft selbst das Leben nimmt. Nach der Auferstehung geht der lebendige Christus den Jüngern wieder voraus – diesmal nach Galiläa, also an den Ort ihres alltäglichen Lebens. Dieses Motiv birgt für mich einen tiefen Trost und eine Ermutigung. Der lebendige Herr geht uns voraus. Christsein ist die Freude, mit ihm unterwegs zu sein.

Heilt! Auch wenn es im Auftrag Jesu nicht primär um körperliche Heilungen geht, möchte ich ermutigen, öfter und intensiver für Kranke zu beten. Es ist kein großer Aufwand, Angehörige von Schwerkranken regelmäßig in die Kirche einzuladen und ganz explizit um Heilung für Körper und Seele zu bitten. Gott ist natürlich kein Automat zur Erfüllung unserer Wünsche und Erwartungen. Er mutet uns Enttäuschungen zu. Dennoch bleibt kein Gebet, das vertrauensvoll an ihn gerichtet wird, unerhört. Heilt! Jesus legt uns die Sorge für die Menschen in unserem unmittelbaren Lebensumfeld ans Herz. Es gibt hinter den Fassaden eines gestylten und auf Erfolg getrimmten Lebens weit mehr Verwundungen und Leiden, als man äußerlich wahrnehmen kann. Heilung brauchen vor allem jene Menschen, die persönliche Schicksalsschläge und schwere Krisen durchzustehen hatten. Ich denke speziell an jene, die den Bruch einer Beziehung oder das Scheitern ihrer Ehe hinter sich haben. Viele fühlen sich in einer solchen Situation von der Kirche verstoßen oder zumindest sanktioniert. Ich bitte darum, dass wir diesen Menschen in Zukunft ein noch deutlicheres Signal geben, dass sie in der Mitte unserer Kirche ihren Platz haben. Niemand ist ausgeschlossen! Ich habe angeregt, dass wir in der Fastenzeit 2019 mit dem Projekt „Neu beginnen!“ starten. Es ist das Angebot einer regelmäßigen Begleitung für alle, die in einer zweiten Ehe leben oder nach der Scheidung allein geblieben sind.

Verkündet! Der Auftrag Jesu zur Verkündigung wird meist recht schnell an die kirchlichen Spezialisten delegiert – oder nur auf die Predigt im Gottesdienst beschränkt. Schnell fühlt man sich überfordert, wenn man von jemandem nach dem eigentlichen Schatz des Glaubens gefragt wird. Aufgrund der volkskirchlichen Strukturen war es scheinbar auch nicht notwendig, über den Grund unserer Hoffnung Auskunft zu geben. Daraus resultiert eine Unbeholfenheit, die wir alle kennen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns diesbezüglich in eine neue Schule begeben. Es ist keine Schande, einer Arbeitskollegin, einem Nachbarn oder einer Bekannten mit ein paar Sätzen zu erklären, warum man gerne zur Kirche geht. Oder davon zu sprechen, dass der Glaube an Jesus eine persönliche Stütze ist, eine Beziehung, die trägt. Und dass das Leben mit dem Tod nicht zu Ende ist. Es gibt die Versuchung, sich für diese bescheidenen Worte des Glaubens zu schämen. Haben wir Mut, Jesus beim Namen zu nennen! Natürlich ist das christliche Glaubenszeugnis nicht ein Gerede, sondern zuerst ein Zeugnis von gelebter Freundschaft, Aufmerksamkeit und Rücksicht auf jene, die Hilfe brauchen. Diesbezüglich müssen wir als Frauen und Männer, die durch die Taufe zu Christus gehören, uns immer wieder fragen, ob wir wohl „auffällig genug“ leben – oder bedauerlicher Weise uns nicht von der typischen Logik unserer Welt unterscheiden.

Geht, heilt und verkündet! Ich wünsche, dass uns in diesen Tagen der Fastenzeit der Heilige Geist eine Erneuerung schenkt und in die Dynamik des Aufbruchs der ursprünglichen Jesus-Bewegung hineinnimmt. Ich grüße Euch alle ganz herzlich und bitte um das gegenseitige Mittragen im Gebet! Gehen wir unseren Weg gemeinsam – fröhlich, solidarisch und zuversichtlich!

 

Der gesamte Hirtenbrief ergänzt durch ein Interview mit Bischof Hermann Glettler und Auszügen aus der Dankrede zur Bischofsweihe steht auch zum Download als PDF zur Verfügung:
http://www.dibk.at/Media/Organisationen/Bischof-Hermann-Glettler/Hirtenbriefe/Hirtenbrief-zur-Fastenzeit-2018 

Hermann Glettler, Bischof der Diözese Innsbruck