Gottesmutter Maria lenkt Blick auf andere "unsichtbare Frauen"

Maria, die Mutter Jesu, "war ein unbekanntes, jüdisches Mädchen, von dem damals niemand etwas wusste und von dem wir eigentlich auch heute sehr wenig wissen".

Deshalb ist sie nach Überzeugung der Grazer Theologin Isabella Guanzini auch besonders geeignet, den Blick auf die vielen ebenfalls "unsichtbaren Frauen" zu lenken, "die in den Zentren und an den Randorten unserer Gesellschaften glauben, leben, kämpfen, leiden und Kinder gebären". Gott habe sich für Maria als Mutter seines menschgewordenen Sohnes entschieden. Als sie beim Konzil von Ephesus (431) den Ehrentitel "Gottesmutter" bekam, "wurde dieses unbekannte Mädchen zu einer Frau, welche die Geschichte nicht mehr vergessen kann", so die Professorin für Fundamentaltheologie.

In ihrem Beitrag "Wer war Maria?" auf der theologischen Feuilleton-Website "www.feinschwarz.net" wies Guanzini am Montag, kurz vor dem Festtag Maria Himmelfahrt (15. August), auch auf einen wenig beachteten Aspekt der Mutter Jesu hin: Maria könne als "Prophetin" betrachtet werden, wenn man sich ihren Lobgesang "Magnifikat" aus dem Lukasevangelium vorm Augen halte: "Hier kann man sehen, dass Maria eine besondere Situationsempfindlichkeit und ein Sensorium für eine vielfach erfahrene sozio-politische Unterwerfung und Ungerechtigkeit zeigt, die sie in einem Lobpreis auf Gott hin ausdrückt." Maria erkenne Gott als den Erlöser der Geschichte, der diejenigen, "die im Herzen voll Hochmut sind", zerstreut, der die Mächtigen vom Thron stürzt und stattdessen die Niedrigen erhöht.

Die Gestalt Marias bezeugt laut Guanzini weiters, dass es einen unauflösbaren Bund zwischen Gott und allen "von-einer-Frau-geborenen Menschen" gebe. Diese weibliche und mütterliche Vermittlung zwischen Mensch und Gott sollte immer wieder entdeckt werden, betonte die Theologin: "Es geht um eine konkrete Frau und nicht um einen Mythos des kollektiven Unbewussten, die ohne Verlieblichung, Exhibitionismus und Unterwerfung, aber mit überraschender Schlichtheit und voller Würde ihre außerordentliche Aufgabe erfüllte."

 

"Über patriarchale Logik hinaus" 

Marias eigenständiges Ja zu ihrer Erwählung gehe über alle patriarchale Logik der damaligen Zeit hinaus: "Es steht uns dabei kein übermannendes Schicksal vor Augen, sondern ein selbstständiger Akt, eine risikobereite und vertrauensvolle Entscheidung." Wenn es im Neuen Testament heiße "Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach", dann werde ihre Spiritualität als eine gekennzeichnet, die nicht die Augen vor den Dingen und Geschehnissen der alltäglichen Welt verschließt, "sondern hier stehen wir vor einer 'Mystik der offenen Augen'".

Die Grazer Theologin geht der Frage nach, ob Marienverehrung heute noch zeitgemäß ist. Gerade die mit Maria verbundene jungfräuliche Geburt und die außerordentliche Geburtsgeschichte als "Zeichen einer anderen prophetischen Ordnung, welche die Machtverhältnisse herauszufordern vermag und eine neue, messianische Zukunft durch die Zustimmung einer Frau zum Ausdruck bringt", stoße heute oft auf Unverständnis. Auf die heutigen "großen Probleme mit den Wundern" zitierte Guanzini die aus der atheistischen DDR stammende Schriftstellerin Christa Wolff: "Sogar auf Wunder gefasst zu sein, hatten wir verlernt. Wir hoffen im Gegenteil auf den Bestand der Zufälle... Wir ahnten kaum, dass man einem Wunder anders als mit halben Sätzen, mit spöttischen Blicken gegenübertreten kann."